© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Unter anderer Flagge
Vor 25 Jahren wurde der KGB aufgelöst: Wesentliche Strukturen haben sich bis in die heutige Zeit unter Putin erhalten
Wolfgang Kaufmann

Als am 19. August 1991 eine Riege von fanatischen Altkommunisten gegen den KPdSU-Generalsekretär und UdSSR-Präsidenten Michail Gorbatschow putschte, um die für den Folgetag geplante Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages mit mehr Autonomierechten für die Teilrepubliken zu verhindern, stand Vizepräsident Gennadi Janajew formell an der Spitze des „Staatskomitees für den Ausnahmezustand“ (GKTschP). Dabei war die treibende Kraft hinter dem Ganzen aber der 67jährige Armeegeneral Wladimir Krjutschkow, welcher seit Oktober 1988 an der Spitze des Komitees für Staatssicherheit der Sowjetunion (KGB) stand. 

Allerdings scheiterte der Umsturzversuch trotz der Involvierung des berüchtigten und scheinbar allmächtigen Geheimdienstes, der über 500.000 Mitarbeiter und mehrere Millionen Informanten verfügte. Dies lag nicht zuletzt daran, daß der wichtigste Gegenspieler des GKTschP während jener dramatischen Augusttage, der gerade gewählte Präsident der russischen Teilrepublik RSFSR Boris Jelzin, sich inzwischen der Loyalität vieler „progressiver Tschekisten“ versichert und die selbigen in seinen im Aufbau befindlichen eigenen Staatssicherheitsdienst namens „Agentur für Föderale Sicherheit“ (AFB) integriert hatte.

Trotzdem sollte dann aber nach dem „Augustputsch“ das letzte Stündlein des Unions-KGB schlagen. Den Auftrag zur Liquidierung des Komitees für Staatssicherheit erhielt der frühere sowjetische Innenminister Wadim Bakatin, welcher Generalleutnant Leonid Schebarschin ablöste, der bereits nach einem einzigen Tag an der Spitze des UdSSR-Geheimdienstes (er wechselte am 22. August vom Posten des Chefs der Auslandsaufklärung auf den Stuhl Krjutschkows) wegen interner Querelen das Handtuch warf. Bakatin wiederum war auserwählt worden, weil er zu den loyalen Gefolgsleuten Gorbatschows gehörte. Das hinderte ihn aber dennoch nicht daran, skeptisch zu sein, was den Erfolg der Perestroika betraf. Davon zeugt unter anderem sein vielzitierter Ausspruch: „Den Sozialismus in einen Kapitalismus zu verwandeln, ist wie Eier aus Omelette zu machen.“ 

Von einer KGB-Auflösung kann keine Rede sein

Jedenfalls operierte Bakatin ziemlich inkonsequent, was die „Zerschlagung“ des KGB betraf, die am 6. November 1991 für erfolgreich beendet erklärt wurde. Im Prinzip lief diese nämlich vorrangig auf eine organisatorische Ausgliederung der Grenztruppen, diverser militärischer Sondereinheiten, der Personenschützer des Staatsoberhauptes und des Regierungsfernmeldewesens einschließlich der elektronischen Aufklärung hinaus. Ansonsten überführte Bakatin die legendäre Erste Hauptverwaltung des KGB (PGU), welche umfangreiche Spionagenetzwerke rund um den Globus installiert hatte, in den Zentralen Nachrichtendienst (ZSR), aus dem dann im Dezember 1991 der Dienst für Außenaufklärung (SWR) hervorging. 

Von einer Auflösung kann hier also genausowenig die Rede sein wie im Falle der zahlreichen Inlandsabteilungen des Komitees für Staatssicherheit: diese wurden allesamt durch einen entsprechenden Ukas des scheidenden UdSSR-Präsidenten Gorbatschow vom 28. November 1991 von dem neu gebildeten Interrepublikanischen Sicherheitsdienstdienst (MSB) absorbiert. 

So konnten die meisten hauptamtlichen Mitarbeiter des KGB problemlos in dessen Nachfolgeorganisation überwechseln – insofern bestanden hier absolut keine Parallelen zur Auflösung der DDR-Stasi.

Der MSB wurde bis zur Selbstauflösung der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 von Bakatin geleitet. Dann schuf Boris Jelzin am 24. Januar 1992 unter Zusammenlegung seines AFB sowie des unmittelbaren KGB-Nachfolgers MSB ein neues Ministerium für Sicherheit und innere Angelegenheiten der Russischen Föderation (MBWD), womit die personelle Kontinuität weiterhin gewahrt blieb. Und an dieser änderte auch die nächste große Umetikettierung am 21. Dezember 1993 nichts, als Jelzin das Sicherheitsministerium durch einen Föderalen Dienst für Gegenaufklärung (FSK) ersetzte, aus dem schließlich am 3. April 1995 – wiederum auf Anordnung Jelzins – der Föderale Sicherheitsdienst Rußlands (FSB) wurde. Zudem sprach die letztere Namensänderung, welche alles andere als Kosmetik war, Bände: Nun wußte praktisch jeder im Lande, daß sich der Überwachungsapparat erneut um alles kümmern durfte, was irgendwie mit „Sicherheit“ zu tun hatte, womit der einstmals omnipotente KGB der Auferstehung ein weiteres Stück näher kam, obwohl Jelzin eigentlich genau das verhindern wollte.

Bei der schon wieder recht starken Position des russischen Geheimdienstes blieb es zunächst auch unter dem neuen Präsidenten Wladimir Putin, einem früheren Oberstleutnant des KGB – ja, mehr noch: der nunmehrige Kremlchef übertrug dem FSB 2003 sogar wieder die Kontrolle über den Grenzschutz und die nunmehrige Agentur für elektronische Aufklärung (FAPSI). Allerdings begann der Stern des Föderalen Sicherheitsdienstes trotzdem in den Jahren danach zu sinken, was an seiner immer wieder heftig kritisierten Ineffektivität lag. Infolgedessen gründete Putin mehrere konkurrierende Dienste wie die russische Bundespolizei (SK), deren Kompetenzen denen des amerikanischen FBI ähneln; ebenso bekam das neue Zentrum für Extremismusbekämpfung beim Moskauer Innenministerium (Zentr E) wichtige Aufgaben des FSB übertragen.

Putin plant jetzt einen neuen Super-Geheimdienst

Mittlerweile freilich scheint Putin seine Position erneut revidiert zu haben. Wie die vielgelesene überregionale russische Tageszeitung Kommersant Ende September 2016 meldete, plant er jetzt offenbar die Verschmelzung von FSB und SWR zu einem Super-Geheimdienst namens Ministerstwo Gosudarstwennoj Bezopasnosti (Ministerium der Staatssicherheit beziehungsweise MGB). Der soll haargenau die gleichen oder vielleicht sogar noch umfassendere Befugnisse und Aufgaben erhalten wie weiland der KGB und bereits 2017, also deutlich vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, die Arbeit aufnehmen. 

Hingegen dürfte der Föderale Dienst für Bewachung (FSO), welcher für den Schutz von Putin sowie der russischen Regierung zuständig ist, seine Eigenständigkeit behalten – und somit weiter direkt dem Präsidenten unterstehen. Als Grund für die anstehende Fusion, welche das MGB dann zugleich zur obersten Aufsichtsinstanz für alle Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden Rußlands machen würde, nennen Beobachter die angespannte internationale Lage. Diese veranlasse die russische Regierung zu einer Konzentration aller Kräfte und sorge darüber hinaus für den Wunsch nach umfassender Kontrolle sämtlicher Vorgänge im Lande. Damit wären die Widersacher Rußlands mitverantwortlich, wenn es zu einer vollkommenen Palingenese des KGB käme.