© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

„Bollwerk gegen die Linksfront“
Parteitag: Mit Streicheleinheiten umwirbt CSU-Chef Horst Seehofer Konservative
Hinrich Rohbohm

Seine Stimme ist heiser. Um so leiser und ruhiger sind die Töne, die Horst Seehofer in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag in München anschlägt. Es ist ein Spagat, den der bayeri-

sche Ministerpräsident bewältigen muß. Versöhnung mit der CDU auf der einen Seite, um als Union geschlossen in den Wahlkampf ziehen zu können. Auf der anderen Seite muß er aber auch Entschlossenheit und Prinzipientreue als Botschaft an die 900 CSU-Delegierten vermitteln. Denn das ist es, was die Basis von ihm erwartet. 

Die Kanzlerin war dieses Mal gar nicht erst zum Parteitag eingeladen worden. Ein Novum. Es ist die Folge jenes denkwürdigen CSU-Parteitags vor fast genau einem Jahr am gleichen Ort, als Horst Seehofer der CDU-Chefin auf offener Bühne eine Standpauke hielt, die mit einem unrühmlichen, beifallslosen Auszug Merkels aus der Münchner Messehalle endete (JF 49/15). 

Es war der Höhepunkt des gegenwärtig angespannten Verhältnisses der Schwesterparteien. Doch obwohl die Kanzlerin dieses Mal nicht kommt, ist ihr Name in aller Munde. Lebhaft diskutieren Parteimitglieder außerhalb des Plenums über die Regierungschefin. „Sie hat unser Land an die Wand gefahren. Und ihre Partei gleich mit. Wenn wir die Frau wieder unterstützen, mache ich keinen Wahlkampf mehr“, schimpft ein Delegierter am Bier- und Weißwurststand von einem der zahlreichen Aussteller im Foyer. „Reg’ dich ab, mit Streit gewinnst du auch keine Wahlen. Und dann kommt Rot-Rot-Grün“, entgegnet ihm sein Gegenüber. 

Derlei Diskussionen waren außerhalb des Plenums viel zu hören. Entsprechend bedächtig redet Seehofer, spricht davon, was bereits alles erreicht wurde. Maut, Betreuungsgeld, die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Und er pflegt inzwischen, nach dem Aufkommen der AfD, die jahrelang geschundene konservative Seele der Partei. So gehören für ihn auch Wertkonservative und Nationalkonservative zur CSU. „Wir werden Konservative nicht an den Rand der Gesellschaft schieben.“ Die CSU sei das „Bollwerk gegen die Linksfront“, die drohe, sollte Rot-Rot-Grün in Deutschland an die Macht kommen. „Ich möchte nicht, daß die Enkel der SED in die Verantwortung kommen“, ruft Seehofer unter dem Beifall der Delegierten. Auch bei der Zuwanderungskrise bleibt er bei seiner Linie.

Keine generelle Absage an Koalition mit den Grünen 

„Selten haben wir mit unseren Einschätzungen so recht gehabt wie in den letzten Monaten“, nimmt er auf sie Bezug. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß eine Begrenzung der Zuwanderung erfolgen muß, wenn Integration gelingen soll.“ Ein Seitenhieb auf die Kanzlerin, der mit wohlwollendem Applaus von den Delegierten im Saal honoriert wird. Und Seehofer legt nach. „Ich werde in dieser Frage die Seele der CSU nicht verkaufen“, sagt er. Der Beifall nimmt zu. Nur einer klatscht nicht. Mit versteinerter und zugleich nachdenklicher Miene verfolgt Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) die Rede des CSU-Chefs, der gleich noch mehr Streicheleinheiten an die Konservativen verteilt. 

„Ich hatte meine Bedenken gegenüber dem Türkei-Deal von Anfang an.“ Wieder ein Rempler gegen die Kanzlerin, die erst zwei Wochen zuvor auf dem Deutschlandtag der Jungen Union ihr mit Staatschef Erdogan geschlossenes Flüchtlingsabkommen als Erfolgsgarant zur Eindämmung der Zuwanderungskrise verkauft hatte. 

Seehofer hat noch mehr Balsam für die Konservativen vorbereitet. „Die Menschen erwarten, daß sich Europa wieder mehr um die großen Themen kümmert. Ein Europa, das nationale Identitäten stärkt“, setzt er einen weiteren Kontrapunkt zur CDU-Vorsitzenden. 

Dann aber stellt er klar: „Unser Gegner ist nicht die CDU, unser Gegner ist Rot-Rot-Grün.“ Sein Ziel für die Bundestagswahl sei eine „bürgerliche Regierung“. Wie die aussehen soll, darüber sagt der bayerische Ministerpräsident allerdings wenig. Eine Koalitionsabsage an die Grünen bleibt ebenso aus wie ein Bekenntnis zu einem Bündnis mit den Liberalen. Was manchen CSU-Funktionär mißtrauisch macht. Worte wie „Show“ und „Inszenierung“ machen die Runde. 

„Wir können nicht vor Rot-Rot-Grün warnen und gleichzeitig Koalitionen mit den Grünen nicht ausschließen. Das kauft uns der Wähler nicht ab“, meint ein unterfränkischer Delegierter gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Doch unter den Christsozialen gibt es auch andere Standpunkte. „Nach der Wahl müssen wir halt sehen, welche Bündnisse Mehrheiten zulassen. Wenn es nicht anders geht, müssen wir es auch mit den Grünen versuchen. Das ist immer noch besser als Rot-Rot-Grün“, sagt ein CSU-Funktionär aus Niederbayern, der jedoch zugibt, „große Bauchschmerzen“ mit einem solchen Bündnis zu haben.

Daß statt Angela Merkel ausgerechnet der österreichische Außenminister Sebastian Kurz als Gastredner zum CSU-Parteitag geladen war, zeigt jedoch, wie tief die Gräben trotz sichtlicher Annäherungsversuche zwischen den Schwesterparteien sind. Schließlich war es der ÖVP-Politiker, der einen erheblichen Anteil daran hat, daß sich entgegen Merkels Politik die Grenzen der Westbalkanstaaten für Zuwanderer schlossen. Der Beifall für die Rede des noch jungen Ministers aus dem Nachbarland war jedenfalls vielsagend lang. Und dessen im Anschluß geführtes Gespräch mit dem CSU-Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber auffallend herzlich. 

Foto: Seehofer auf dem Weg zur Parteitagsbühne: „Das kauft uns der Wähler nicht ab“