© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Neue Kopfpauschale und Milliarden für Migranten
Jahresgutachten: Altbekannte Forderungen von Wirtschaftsverbänden im Professorengewand / Kritik an der Klimapolitik der Bundesregierung
Jörg Fischer

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung solle „Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung“ aufzeigen, jedoch „keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen“, heißt es im Gutachtengesetz von 1963. Doch die Ökonomen „werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten berufen“ – vier der fünf „Wirtschaftsweisen“ wurden von Merkel-Kabinetten ausgekungelt.

Nur der 2004 berufene Peter Bofinger ist ein Schröder-Überbleibsel, der diesmal gleich sieben grün-rote Minderheitsvoten abgibt. Lars Feld und Volker Wieland vom Kronberger Kreis vertreten gelb-schwarze Arbeitgeberpositionen. Der Vorsitzende Christoph Schmidt ist ein Zuwanderungsideologe, der Thilo Sarrazin wegen dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ im Handelsblatt der „pseudowissenschaftlichen Untermauerung von rassistischen Thesen“ bezichtigte.

Das erklärt, warum im 509seitigen „Jahresgutachten 2016/17“ ein Wunschkatalog der Wirtschaftverbände steht: von niedrigeren Unternehmens- und höheren Konsumsteuern, über Ceta/TTIP bis hin zur Deregulierung von Dienstleistungen und der Rente mit 71. Sogar die CDU-Kopfpauschale von 2005 ist als „Vorschlag einer einkommensunabhängigen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung durch die Einführung einer Bürgerpauschale“ wiederauferstanden.

Bei der Klimapolitik drohen weitere Belastungen. Zwar sei die Zwischenbilanz der Energiewende „ernüchternd“, das Erneuerbare-Energien-Gesetz falsch und nationale Ökosteuern und Subventionen „weder effizient noch klimapolitisch sinnvoll“. Doch was heißt Ausweitung des EU-CO2-Emissionshandels auf alle Sektoren? Es wird letztlich teurer werden: bei Kraftstoff, Kohle, Öl und Gas käme eine weitere Abgabe obendrauf.

Der Euro wird nicht in Frage gestellt, nur die Einlagensicherung (Edis), eine EU-Arbeitslosenversicherung oder die Geldpolitik der EZB und deren milliardenschwere Anleihekäufe werden kritisiert. Auch um den Finanzsektor wird sich gesorgt: Die andauernde Niedrigzins­phase höhle „das Geschäftsmodell von Banken aus. Diese Belastungen dürften in der Zukunft deutlich zunehmen“. Zum anderen erschütterten „hohe Bestände an notleidenden Krediten das Vertrauen“, daher sei eine „rasche Bereinigung der Bankbilanzen dringend geboten“.

Die Asylkrise wird in einem eigenen Kapitel schöngeredet. 2015 seien statt 1,1 Millionen nur 890.000 Asylsuchende gezählt worden, doch in den ersten drei Quartalen 2016 seien „lediglich rund 270.000 Registrierungen hinzugekommen“. Obwohl drei Viertel der Erfaßten laut Bundesagentur für Arbeit nur für Helfer- und Anlerntätigkeiten taugen, prognostizieren die Weisen, daß die „Flüchtlingsmigration des vergangenen und der anstehenden Jahre aller Voraussicht nach keine erhebliche langfristige Zusatzbelastung für die öffentlichen Haushalte darstellt“.

Die direkten Flüchtlingsausgaben lägen 2016 bei 12,8 und 2017 bei 10,3 Milliarden Euro – ohne die Kosten „in den Bereichen Bildung, innere Sicherheit oder öffentliche Investitionen“. Auf Seite 360 werden Zahlen genannt: zwischen 2,2 und 3,2 Milliarden Euro jährlich werde alleine die Bildungsintegration der 2015 Zugewanderten kosten. Was der Zusatzbedarf von 340.000 Wohneinheiten bis 2020 verschlingt, wird nicht verraten. Dafür stellten sich in 13 Jahren „die geschlechtsspezifischen Erwerbs- und Arbeitslosenquoten“ ein, die es 2014 für Ausländer in Deutschland gab. Und in 20 Jahren werde sogar das „Beschäftigungsniveau von Inländern“ erreicht.

„Zeit für Reformen – Jahresgutachten 2016/17“: www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de