© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Pankraz,
Oleg Popow und der Clown als Politiker

Die Trauer war überall groß und aufrichtig, als vorige Woche der legendäre russische Superclown Oleg Popow im Alter von 86 Jahren die Augen für immer schloß. Dabei haben die Clowns zur Zeit, wie bekannt, ein sehr schlechtes Image. Sogenannte „Horror-Clowns“ machen die Straßen unsicher und erschrecken Leute, im Fernsehen wimmelt es von „Comedians“, die sich als Nachfolger der berühmten Hofnarren vergangener Monarchien aufführen und die herrschende Chaos-Politik mit schlechten Scherzen scheinbar kritisieren und in Wahrheit stabilisieren.

Oleg Popow freilich galt nach allgemeiner Überzeugung als die große Ausnahme. Er war, wie in dem schon 1982 erschienenen und heute als Klassiker geltenden Band „Die großen Clowns“ von Karl Hoche und Toni Meissner (Verlag Königstein/Ts.) nachzulesen ist, „der letzte wirkliche Zirkusclown, den es gegeben hat“, Repräsentant, Gipfel und Schlußstein einer Zeit, die heute endgültig der Vergangenheit angehört. Die populäre Erinnerung an Popow ist also gleichzeitig die Erinnerung an eine große, wundersame und höchst unterhaltsame  Epoche, der man nachtrauert und die nicht ersetzt werden kann.

Laut Hoche & Meissner gab es drei gut unterscheidbare Typen des „klassischen Clowns“. Da war erstens „der dumme August“ mit der Pappnase und den Ziehharmonikahosen, zweitens der ganz zugeschminkte und in Atlas gekleidete „Weiße Clown“, drittens „der Sprech-stallmeister“, die überlegene Person, die den beiden anderen die Stichworte gibt und sie immer wieder – vergeblich – zur Vernunft ermahnt. Alle drei füllten im Zirkus die Pausen zwischen den Artistenauftritten, und die Erwachsenen langweilten sie manchmal sogar ein bißchen. Aber von den Kindern wurden sie über alles geliebt und bejauchzt.


War Oleg Popow aber tatsächlich die Inkarnation und Krönung dieses klassischen zirzensischen Clown-Trios? Oder hat er nicht vielmehr die Figur des Sprech-stallmeisters – zumindest zeitweise – allzu deutlich hervorgekehrt und sich darin richtig gesuhlt? Gewiß, er glänzte, wenn es notwendig war, auch als dummer August, als Iwanuschka“, wie die Russen sagen, mit Pappnase und Ziehharmonikahosen. Aber in der Spätzeit der Sowjet-union war er vor allem und in erster Linie offizieller Direktor des gloriosen Moskauer Staatszirkus, und als solchen hat ihn auch Pankraz erleben können. Es war ziemlich schauerlich.

Alles verlief perfekt, fast zu perfekt. Riesige Grizzlybären fuhren Rhönrad, Seelöwen bliesen Trompete, weiße Zwergpudel überfielen eine Postkutsche, schöne Pferde bauten Männchen. Und Clown Popow zeigte sich allgegenwärtig, absolvierte hier einen Gag, winkte da gebieterisch zum Einsatz, er war der Chef des Unternehmens, eben der Direktor – und Pankraz fragte sich damals (es war die Zeit der deutschen Wiedervereinigung und des Abtritts der SED-Politclowns) verdrossen, warum denn ausgerechnet ein Clown, ein professioneller Narr, der Direktor eines solchen Unternehmens sein müsse. 

Aber dann kam eine Nummer, die im Kontext all der närrischen Eingeübtheiten, des tierischen Rhönradfahrens und Trompeteblasens, geradezu sensationell wirkte und jeder Verdrießlichkeit sofort ein Ende bereitete. Herr Direktor Popow selbst nämlich wurde zum „Artisten“, jedoch nicht als dummer August mit Pappnase, sondern als muskulöser Schwerathlet in Trainingshose. Er und einer seiner Unterclowns stehen vor einem offenbar sehr schweren Gewicht, und beide versuchen mit ungeheurem Kraftaufwand, es vom Boden zu lupfen. Das volle Programm der Schwerathletik wird komisch durchexerziert.

Schließlich gelingt es Popow unter grotesken Verrenkungen, die Riesenhantel auf Schulterhöhe zu wuchten und sieghaft emporzustrecken. Ächzend stellt er sie wieder ab und verbeugt sich vor dem jubelndem Publikum. Aber siehe, da kommt aus der Kulisse ein winziges, zartes Mädchen herausgerannt, lächelt niedlich, schnappt sich das Gewicht und trägt es fort wie nichts. Es war aus Pappe, und Popows Kraftaufwand war bloße Wichtigtuerei. Das Publikum ist perplex, nur zögerlich rührten sich die Hände zum Beifall, selbst den Kindern blieb das Jauchzen im Halse stecken.


Es war ein wahrhaft genialer Einfall, die wahre Natur des Weißen Clowns Popow trat schlagartig zutage, seine Humanität, seine tiefe Skepsis gegenüber jeder Clownerie in der Politik. Die „Probleme“, mit denen Politiker (beileibe nicht nur sowjetische) ihrer eigenen Auskunft nach herkulisch ringen, sind zum größten Teil nur vorgespiegelt. Sie ächzen und stöhnen, recken sich auf zu herkulischen Dimensionen. Doch alles ist Schwindel, das komplizierte Programm völlig überflüssig. Aus der Kulisse kommt ein kleines Mädchen gerannt, heißt Wirklichkeit, und trägt das „Problem“ lächelnd fort.

Man sollte sich freilich nicht täuschen. Wenn heute gelernte und von ihrem Gewerbe überzeugte Clowns in die Politik einsteigen und auch gewählt werden (siehe Beppe Grillo in Italien), so ist das zwar zunächst verständlich; der Wähler sagt sich: „Lieber echte Clowns an die Macht, als diese offizielle Bagage weiter ertragen.“ Doch die Rechnung geht nicht auf. Politik ist grundsätzlich keine Angelegenheit für Narren. Es geht nicht um die Abschaffung der Politik, sondern um bessere Politik, um gute Politik, und die ist und bleibt ein hochkompliziertes, schwieriges Geschäft.

Oleg Popow, der nach der Wende mit seiner (zweiten) deutschen Frau Gabriela nach Deutschland zog und seitdem im idyllischen fränkischen Egloffstein einen Bauernhof betrieb, blieb seiner Clownsrolle dennoch bis zuletzt treu und hatte für sich und Gabriela eine kleine Extra-Performance ausgearbeitet. Es kommt da ein moderner Politiker in Gestalt einer aufziehbaren Puppe vor, die aber eines Tages nicht mehr zappeln kann, völlig tot ist. Die Aufregung ist groß. 

Man versucht dies und das, aber vergeblich – bis Gabriela durch einen schlichten Kuß die Puppe zum richtigen Leben erweckt.