© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Du sollst Zeit haben!
Dokumentarfilm: Corinna Belz porträtiert den Schriftsteller Peter Handke
Sebastian Hennig

Nach „Gerhard Richter Painting“ (2011) wollte die Filmemacherin Corinna Belz „etwas mit Sprache machen“. Nun hat sie sich zu Peter Handkes filmischem Eckermann aufgeschwungen. Dessen Bücher hat sie schon als Teenager gelesen, „wie man Musik hörte, nicht als Weltflucht, sondern um die Welt zu begreifen“. Als sie im Oktober 2012 zu den ersten Aufnahmen mit dem Vorortzug ins französische Chaville fuhr, fand sie einen Zettel am Eisentor des Handkeschen Anwesens mit der Aufschrift „Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte.“ 

Der Vorspann mit diesem Filmtitel läuft in einer gestochen scharfen Buch-Antiqua über die Leinwand. Mit Gesprächen und Anblicken, alten Polaroid-

fotos, Notizbüchern, Filmausschnitten und Gartenspaziergängen wird der Raum Handkeschen Tuns und Lassens durchmessen. Immer wieder füllt sich das Bild im Zeilenlauf mit Zitaten aus den Büchern. Den Anfang machen Sätze aus dem „Versuch über den geglückten Tag“, dem ersten Buch, das der Autor im Haus in Chaville geschrieben hat. Haus und Garten sind der Resonanzraum für die Stimme des Schriftstellers.

Peter Handke hat die Regisseurin als eine Verwandte der „linkshändigen Frau“ oder der „Bankfrau“ aus „Der Bildverlust“ hingenommen. Wäre sie ihm nicht angenehm gewesen, dann hätte er sie nicht so nahe und derart oft an sich herangelassen. Über einen Zeitraum von drei Jahren wurde gedreht unter genauer Beachtung von Handkes elftem Gebot „Du sollst Zeit haben.“ Nach vier bis fünf Stunden war jeweils Schluß, und die Unruhe mußte wieder befriedet werden.

Einige Male waren Filmautorin und Buchautor jeweils mit ihren Töchtern gemeinsam zu viert. „Und obwohl wir meistens freundlich von Handke empfangen wurden, fühlte ich mich doch oft als Eindringling“, sagt Belz. Durch dieses gute und angemessene Empfinden fühlte sich der Gastgeber ermuntert, sich zu offenbaren. Noch mehr als in Worten geschieht das in Gesten und der Mimik oder nur im stillen sichtbaren Dasein. Als ein Greis liegt Handke lesend auf dem Rücken. Mit gerötetem Gesicht wirkt er da als selbstverliebter Choleriker. Dann wieder schiebt er sorgfältig einen Faden durchs Nadelöhr. Das ist raffiniert inszeniert. Denn es drängt sich die Ahnung auf, daß eher ein Kamel dort hindurchginge, als daß seine Widersacher das Garn mit ebendieser anmutigen Ergebenheit einzufädeln vermöchten.

Am Gartentisch sitzend hält Handke sein Dichterhaupt an das Licht des Tages. Die Löwenmähne umwallt das Stirngewölbe, unter dem Bedeutsames keimt. Im Kunstlicht kauert er dann wieder als ungesunder, verquollener Wicht. Seitlich vom Fenster wird das wirre Haar beleuchtet. Da ist ein Hiob, ein muskulöser Asket, wie ihn Rubens malte. Etwas Schmerzliches umspielt die Augen.

Durch Paris stelzend, ist er dann einfach nur eine von vielen unangenehmen Figuren, denen man in der Großstadt besser ausweicht. In einem Café trifft er die immer noch schöne Sophie Chemin mit den dichten Augenbrauen. Im Gespräch draußen in Chaville ist seiner Frau die liebende Nachsicht mit ihrem Peter anzusehen. Der Pilztrottel, als der er sich selbst zu Beginn bezeichnet, ist letztendlich vor allem ein Glückspilz. Aber er hat eben auch jenen Mut zum Glück, von dem Goethe meinte, den meisten ginge er ab. Ein sanftes Hochrufen des Vorhandenen, darin besteht seine Poetologie.

Doch er weiß auch um sein Irren und um seine Rücksichtslosigkeit, die ihn nicht wenig peinigen. Und doch verfährt er genauso instinktlos mit den Nahestehenden, wie er es seinem Vater in dem Buch übers langsame Sterben seiner Mutter „Wunschloses Unglück“ zugeschrieben hat. Da schwärmt er vom Leben „mit dem Kind“, umschreibt es als Anwehung vom Paradies. Wie er dramatisch vor der Tochter Amina die unbeherrschte Ohrfeige erwähnt, meint diese trocken, daß die Mutter weggegangen ist, hätte für sie viel schwerer gewogen. Worauf der liebevolle Tyrann entgegnet: „Ich glaube kein Wort.“

Daß der Schriftsteller Peter Handke in den letzten Jahren etwas auf der Stelle zu treten scheint, ohne wirklich unter sein Niveau zu sinken, könnte an der fehlenden Vergangenheitsbewältigung liegen. Handke ist ein Wutromantiker. Die böse Nato, die journalistische Hetzsprache, die westlichen Gaunerstaaten, die brutalen Deutschkärntner und die musikalischen Slowenen, egal wieviel Dichtung und wieviel Wahrheit in alledem enthalten ist, Handke hat sich eine eigene bezwingende Welt daraus gezimmert.

In dieser gibt es aber auch einen verborgenen Winkel. Je näher der Tod rückt, um so mehr wächst dieser als Fehlstelle und Fragezeichen aus dem Werk hervor. Ein Sohn kann bis zuletzt der Frage aus dem Weg gehen, wie hältst du es mit dem Vater? Aber die Frage wird auch ohne sein Zutun im Werk zur Gestalt. Zu Daseinslügen ist ein Dichter berechtigt. Doch kein Jupiter kann ohne Kronos sein. Daß es ihn innerlich nicht ruhen läßt, zeigen die Hinweise auf die im Krieg gefallenen Brüder seiner Mutter. In seiner ungerechten Gerechtigkeitssucht streift der große Mann ans Lächerliche. Im Film freilich geht das in Ordnung, und wir sollten dankbar sein, hier nicht mit einer Familienaufstellung behelligt zu werden. Ob sich dieser Ring in seinem Werk noch schließt, bleibt abzuwarten.