© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Knapp daneben
Eine Nation braucht Visionen
Karl Heinzen

Christian Schmidt steht mit dem Rücken zur Wand. Gerade erst haben zwei wissenschaftliche Beiräte des von ihm geführten Landwirtschaftsministeriums empfohlen, die Mehrwertsteuer für Fleischprodukte zu erhöhen, um die Tierhaltung und damit den ihr anzulastenden Ausstoß von Treibhausgasen zu drosseln. Nun tutet auch Barbara Hendricks, seine Kabinettskollegin aus dem Umweltressort, ins gleiche Horn und fordert von Konsumenten und Landwirten einen Beitrag zum Klimaschutz. Die Fakten liegen dabei auf der Hand. Allein die idiotische Verdauungsweise von wiederkäuenden Kühen verursacht acht Prozent der bundesweit zu beklagenden Emissionen. Rechnet man den Ausstoß bei der Produktion von Mineraldüngern hinzu, kommt man gar auf einen Anteil von 15 Prozent, den die für unser Bruttosozialprodukt völlig unmaßgebliche Agrarwirtschaft zu verantworten hat.

Die Ära der Massentierhaltung geht zu Ende. Das Zeitalter der Massenbürgerhaltung bricht an.

Schmidt kann dies aber nicht beeindrucken. Als CSU-Mann ist er ein Vertreter der alten Schule, die glaubt, in der Politik müsse man bloß Interessen zum Ausgleich bringen und nebenbei auch noch dem Verbraucher etwas Gutes tun. Damit läßt sich außerhalb Bayerns aber keine Wahl gewinnen. Eine Nation braucht Visionen, und die deutsche des 21. Jahrhunderts ist es, Klimaziele zu erreichen, koste es, was es wolle. Natürlich können wir angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung leicht ausrechnen, daß unser Anrennen gegen die Erderwärmung nutzlos ist. Darauf kommt es aber nicht an. Wir alle haben durch unsere Lebensweise dem Planeten geschadet und müssen dafür nun sühnen: die Männer, die viel mehr Fleisch essen als Ernährungsberater empfehlen, die Hedonisten, die mit dem Auto durchs Land rasen, bloß um sich zu vergnügen, die Feinschmecker, die sich aus der ganzen Welt Delikatessen herankarren lassen, die armen Schlucker, die ihr Haus nicht isolieren können und es doch warm haben wollen. Keiner wird sein Verhalten freiwillig ändern, und darum muß die Politik dies erzwingen. Aus ihrer Agenda macht sie keinen Hehl mehr: Die Ära der Massentierhaltung geht zu Ende. Das Zeitalter der Massenbürgerhaltung bricht an.