© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Der Flaneur
Beglückte Mandelaugen
Bernd Rademacher

Einkaufszentren. Wenn ich was nicht leiden kann, dann das. Schon der feuchtwarme Luftstrom des Abluft-Gebläses zwischen den Eingangstüren ist ekelhaft. Leider hat mein „Serviceanbieter“ hier sein Ladenlokal. Ich schlurfe mißmutig durch das Portal.

Auf dem Weg durch die Gänge und Passagen des Konsumtempels bleibe ich an einer Gruppe von mobilen Musikern stehen. Sie spielen Johann Strauss, und das ganz passabel. Das Ambiente ist zwar deprimierend, aber die Musik zeitlos schön.

Sie kommt aus Hongkong. Wir verneigen uns leicht errötend. Eine bezaubernde Begegnung.

Mir fällt eine Asiatin auf, die verzückt und entrückt dem Quartett lauscht. Sie mag Anfang Dreißig sein, ich kann das bei Asiatinnen schlecht schätzen. Sie ist bildschön und elegant gekleidet. Sie schwelgt sichtbar in der Musik. Seltsam, ich dachte immer, Asiaten hätten ein völlig anderes Musikempfinden als wir Europäer.

Das Stück ist aus, sie klatscht frenetisch. Die Musiker verneigen sich und packen ihre Instrumente ein. Die Hausordnung bestimmt, daß Musikanten nicht länger als 30 Minuten an einem Ort spielen dürfen.

Die Asiatin ist aus ihrem Traum gerissen. Ich spreche sie an und sage ihr: „The composer’s name is Johann Strauss“, und sie möge auf ihrem Smartphone bei Youtube „Tales from the vienna forest“ suchen, dann könne sie die Musik immer wieder genießen.

Sie probiert es gleich aus – und ich blicke in die beglücktesten Mandelaugen, die ich je gesehen habe. Sie kommt aus Hongkong, erfahre ich, und sie bedankt sich mit allen förmlichen Höflichkeitsritualen des Fernen Ostens. Wir verneigen uns leicht errötend, und ich wünsche ihr alles Gute.

Eine bezaubernde Begegnung. Plötzlich wirkt die neonerleuchtete „Facility“ der häßlichen „Shopping-Mall“ etwas annehmbarer und menschlicher. Selbst das Gespräch mit meinem „Serviceanbieter“ verläuft irgendwie gelassener. Danke, alter Johann ...