© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Diebe im Gesetz
Innere Sicherheit: Die „Russisch-Eurasische Organisierte Kriminalität“ nimmt zu
Martina Meckelein

Die Organisierte Kriminalität steht direkt vor unserer Haustür: Wohnungseinbrüche, Ladendiebstähle, Internetkriminalität. Das sind die Wirtschaftsfelder von heute, die kriminelle Banden und Organisationen aus dem Osten in Deutschland für sich als  lukrative Betätigungsfelder entdeckt haben. 

Seit 2009 tritt die Russisch-Eurasisch Organisierte Kriminalität, kurz REOK, immer stärker in den Fokus hiesiger Ermittler: „Wir haben beispielsweise viele mobile Tätergruppierungen aus Ost- und Südosteuropa, die strukturiert und organisiert nach Deutschland gesandt werden, hier Eigentumsdelikte begehen und dann mit der Beute schnell wieder verschwinden“, zitiert die Gewerkschaftszeitung Deutsche Polizei die Leiterin der Abteilung Schwere und organisierte Kriminalität im Bundeskriminalamt, Sabine Vogt.

Warum erst jetzt? Kriminelle reagieren eben auf politische Entwicklungen und nutzen sie für sich. So wie die Mafia nach 1989 speziell in Deutschlands Osten zog, zieht es jetzt osteuropäische OK-Strukturen, dank offener Grenzen, in den Westen. Der Schaden, den diese Kriminellen anrichten, ist enorm. Laut BKA-Schätzungen handelt es sich 2015 allein bei Ladendiebstählen um rund eine halbe Milliarde Euro in Deutschland.

Die REOK-„Mitglieder“ haben die Sprache und ähnliche kulturelle Strukturen gemeinsam. Denn sie stammen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, aus Estland, Lettland, Litauen, der Republik Moldau, aus Rußland, der Ukraine, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan. 

Man schätzt ihre Zahl auf 50.000 Mitglieder weltweit. Der Nachwuchs wird in den Gefängnissen rekrutiert. BKA-Präsident Holger Münch rechnet vor, daß bis zu zehn Prozent, rund 5.000 Häftlinge in deutschen Gefängnissen, russischstämmig- oder russischsprachig sind. Bei einem Teil der rund 9.100 Tatverdächtigen bundesweit soll es sich, laut Münch, um Asylbewerber handeln. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel zählten die Ermittler in zwei Jahren (2013 bis 2015) fünf OK-Ermittlungsverfahren gegen georgische Diebesbanden. 

Im Jahr 2014 gibt die Statistik des bevölkerungsreichsten Bundeslandes 1.458 Ladendiebe georgischer Herkunft an. Damit stieg die Zahl der Tatverdächtigen in neun Jahren um das Zehnfache an.  Die Georgier hatten sich auf Apotheken und Juwelierläden spezialisiert. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich fast ausschließlich um Asylbewerber. Zwecks schneller Abschiebung arbeite das BKA deshalb eng mit dem Bamf zusammen, so Münch.

Mehr Straftaten, geringere Aufklärungsquote

Das Besondere an der REOK sind ihre, im Gegensatz zur italienischen Mafia, nicht familiären Strukturen und ihre Historie. Die Geschichte der „Diebe im Gesetz“, wie sie sich gerne nennen,  hat zwar ihre Anfänge in der Zarenzeit, doch diese Form der Mafia entstand in den Lagern der Sowjetunion der Nachkriegszeit. Mittelpunkt dieses Systems war eine eigene Gesetzgebung, Rechtsprechung und eine gemeinsame Sozialkasse. Sie dient sowohl der Unterstützung der Familien von inhaftierten Bandenmitgliedern als auch der Finanzierung der oberen Hierarchien. 

Zu Sowjetzeiten gab es geschätzt rund 15 „Diebe im Gesetz“; Gangster-Bosse, die in den Lagern Gericht hielten und deren Urteil sich die Bandenmitglieder zu unterwerfen hatten. Heute nennen sich etwa tausend russische Mafiosi „Diebe im Gesetz“. Eine wahre Inflation an vermeintlichen Robin Hoods. Was Ermittler eher für Folklore denn Tatsache halten. Deutschland wurde von der REOK aktuell in zwanzig Reviere aufgeteilt. Jedes Revier untersteht einem Leiter, der sich, in Anlehnung an die Sowjetzeiten, wiederum „Dieb im Gesetz“ nennt. Diese Gangster-Bosse leben im Ausland, haben in Deutschland Stellvertreter installiert, das für die Banden zugleich Investitions- wie auch Aktionsraum ist.

Wie brutal und angstfrei die REOK agiert, erlebte in diesem Jahr Berlin. Der Kokain-Dealer Mesut T., offiziell Hartz-IV-Empfänger, wurde am 15. März während des Berufsverkehrs im Auto seiner Freundin in die Luft gesprengt. Fahnder gehen von einer Exekution durch die Russen-Mafia aus. Die Täter sind vermutlich Sprengstoff-Experten.

Neuerdings stehen die Fahnder selbst unter Beobachtung. Zweimal schon wurden in diesem Jahr OK-Ermittler des Landeskriminalamtes Thüringen observiert – und zwar von Mitgliedern der REOK. Die Kriminellen fotografierten vor der Dienststelle die Beamten, ihre Fahrzeuge und die Kennzeichen. Das LKA gibt sich auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT einsilbig: „Wir äußern uns nicht zu Belangen, die die Sicherheit der Behörde und Mitarbeiter betreffen“, sagt Pressesprecherin Tina Büchner.

Immer mehr Straftaten, immer geringere Aufklärungsquoten. Die Fahndungserfolge bleiben aus. Innenminister Thomas de Maizière, der nun das Internet als „Brandbeschleuniger“ für die steigenden Fallzahlen identifiziert hat, fordert im Kampf gegen die OK mehr internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und die Vermögensabschöpfung. Außerdem werden Finanzspezialisten, IT-Fachleute und Übersetzer bei der Telefonüberwachung benötigt. Und natürlich Geld. Zwölf deutsche Polizeiprojekte zur Bekämpfung der OK finanziert allein die EU mit 5,4 Millionen Euro.