© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Kehrtwenden und Kontinuitäten
Ein Anfänger und viele offene Fragen: Die außenpolitischen Absichten Donald Trumps bleiben nebulös / Absage an Interventionismus
Alain de Benoist

Am 9. November 1989 markierte der Mauerfall das Ende einer Weltordnung. Als am Morgen des 9. November dieses Jahres in Europa der Sieg Donald Trumps bei den Präsidentenwahlen offenbar wurde, ging ebenfalls „eine Welt zu Ende“, wie Front-National-Chefin Marine Le Pen verkündete. Wie aber haben wir uns die neue Welt vorzustellen, die mit der Wahl des populistischen Kandidaten auf uns zukommt?

So berechenbar eine Präsidentin Clinton gewesen wäre (viele Kommentare gingen davon aus, daß ein Krieg mit Rußland unvermeidbar geworden wäre), so mysteriös sind und bleiben Trumps tiefere Absichten. Er wird das höchste Amt im Land antreten, ohne jegliche politische Erfahrung mitzubringen. Seine bisherige Laufbahn gibt keinerlei Aufschluß über sein zukünftiges Handeln. Bekannt ist allenfalls, daß er kein Ideologe, sondern Pragmatiker ist. Aus seinen vollmundigen Wahlkampfversprechen auf seinen Regierungsstil schließen zu wollen, wäre zumindest kühn, wenn nicht naiv. Aus ebendiesem Grund kann bislang jedenfalls nur darüber spekuliert werden, wie die Machtkonstellationen dieser „neuen Weltordnung“ aussehen werden. 

Aus der eindeutigen Absage, die Trump im Wahlkampf dem weltweiten Interventionismus erteilt hat, für den seine demokratische Rivalin stand, hat man vielerorts – womöglich ein wenig vorschnell – den Schluß gezogen, daß von ihm eine „isolationistische“ Politik zu erwarten sein werde. Doch selbst wenn er das wirklich wollte, werden (und können) die USA nicht völlig ignorieren, was im „Rest der Welt“ geschieht. 

Was sich am ehesten mit einiger Sicherheit abzeichnet, ist eine Entspannung in der Beziehung zwischen den USA und Rußland, die in den letzten Jahren von einem Ton geprägt war, der an die Zeiten des Kalten Krieges erinnerte und auf beunruhigende Weise zu eskalieren drohte. Wladimir Putin, der nie einen Hehl daraus gemacht hatte, daß er Hillary Clinton keinerlei Sympathie entgegenbrachte, gehörte mit Benjamin Netanjahu zu den ersten Staats- und Regierungschefs, die Trump zu seinem überraschenden Wahlsieg gratulierten. Dies läßt auf eine offenere und weniger von strategischem Kalkül geprägte Zusammenarbeit zwischen den USA und Rußland im Kampf gegen den Islamischen Staat hoffen, was wiederum zu einer schnellen Entwicklung der militärischen Lage im Irak und in Syrien führen könnte.

Kehrtwende, die Rußland freut

Darüber hinaus spekulieren manche Beobachter sogar, daß Trump – der im Wahlkampf für China längst nicht so positive Worte übrighatte wie für Rußland – versuchen könnte, eine Annäherung zwischen Washington und Moskau herbeizuführen, bei der Peking das Nachsehen hätte. Dies scheint jedoch kaum wahrscheinlich: Warum sollte Putin einen sicheren Verbündeten zugunsten eines unbeschriebenen Blatts aufgeben.

In der Nahostpolitik wird allgemein davon ausgegangen, daß Trump auf Distanz zu Saudi-Arabien gehen wird, dem bevorzugten Verbündeten seines Vorgängers Barack Obama, zu dem auch Hillary Clinton enge politische und finanzielle Verbindungen pflegte – der nachweislichen Mitschuld der Saudis an der Ausbreitung des islamischen Terrorismus und dem Krieg gegen Jemen zum Trotz. Diese Kehrtwende in der US-Außenpolitik wird nicht nur Rußland, sondern auch Syrien freuen, das Trumps Wahlsieg ebenfalls begrüßt hat. Im Iran hingegen war die Reaktion eher verhalten, nachdem Trump im Wahlkampf angekündigt hatte, das zwischen Teheran und den USA geschlossene Atomabkommen anfechten zu wollen (womit er wiederum in Israel auf Begeisterung stieß). 

Denkbar scheint weiterhin, daß es erneut zu Terrorangriffen auf US-amerikanischem Boden kommt, die dem alleinigen Zweck dienen, zu testen, wie die neue Regierung reagiert. 

Offen bleibt bislang, welche Haltung das Weiße Haus zukünftig gegenüber der Türkei einnehmen wird, einem Nato-Mitglied, das in jüngster Zeit eine spektakuläre Annäherung an Rußland und Syrien vollzogen hat, dessen Hauptsorge jedoch der Verhinderung eines unabhängigen kurdischen Staates an seiner Grenze gilt. 

Noch unklarer sind Trumps Intentionen bezüglich Europa. Der zukünftige US-Präsident hat immer erkennen lassen, daß unser Kontinent für ihn quasi ein weißer Fleck auf der Landkarte ist. Bislang hat er verlautbaren lassen, daß die Europäer in Zukunft einen größeren Beitrag zur Finanzierung der Nato werden leisten müssen, wenn sie weiterhin von ihrem Schutz profitieren wollen. Wer indessen der entscheidende Trommler für den „Brexit“ war, das weiß Trump gut, der seine Kandidatur öfters als „Brexit-Plus“ verkauft hatte: Als ersten ausländischen Gast überhaupt traf er ausgerechet den britischen Oppositionspolitiker Nigel Farage. Ihn vergangenen Samstag im Trump Tower in New York empfangen zu haben, werteten Kritiker als kalkulierte Provokation gegen diplomatische Gepflogenheiten und als Affront gegen Brüssel.

Gewählt, weil er den Zorn des Volkes hinter sich hatte

Fest steht indes auch, daß die Aussicht einer Annäherung oder auch nur einer besseren Beziehung zwischen Rußland und den USA weder für François Hollande noch für Angela Merkel eine gute Nachricht ist. Der französische Präsident Hollande hatte sich unvorsichtigerweise zu einem Appell an die US-Wähler verstiegen, ihre Stimme bloß nicht für Trump abzugeben. Am 8. November hatte er bereits ein Glückwunschschreiben verfaßt – an Hillary Clinton. Eine gute Zusammenarbeit mit dem neuen US-Präsidenten ist unter diesen Umständen kaum zu erwarten, zumal Hollande nur noch wenige Monate im Amt verbleiben, wenn Trump im Januar 2017 das seine antritt. Dennoch gehen einige Pariser Kommentatoren davon aus, daß Trumps Wahlsieg sich vor allem für Deutschland als herber Verlust erweisen wird. 

Sicher ist momentan vor allem eins: Nach Trumps Wahlsieg, der dem „Brexit“-Volksentscheid quasi auf dem Fuße folgt, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, wie stark sich der Populismus derzeit weltweit im Aufwind befindet. Der zukünftige Präsident des mächtigsten Landes der Welt wurde gewählt, weil er den Zorn des Volkes hinter sich hatte: den Zorn auf das Washingtoner Establishment, auf die Political Correctness, auf die Arroganz der Berufspolitiker, die die Demokratie zu ihrem eigenen Vorteil zweckentfremdet haben, auf die Showbusiness-Elite, von der sich die Clintons Rettung versprachen. In Trumps Sieg, der sämtliche Wahlprognosen widerlegte, fand dieser Zorn ein Ventil und erwies sich damit als politische Kraft, mit der von nun an zu rechnen sein wird.






Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.