© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Indien schafft urplötzlich die 500- und 1.000-Rupien-Scheine ab
Eine Blaupause für den Euro
Dirk Meyer

Ist dieses Szenario undenkbar? EZB-Präsident Mario Draghi lädt am Dienstag zu einer Pressekonferenz ein. Die Botschaft: Ab Mitternacht werden alle 500- bis 50-Euro-Banknoten entwertet. Damit wären 93,9 Prozent des Banknotenumlaufes ungültig. Die Scheine können jedoch ab Donnerstag bis Jahresende gegen Banknoten einer neuen Serie umgetauscht werden – allerdings nur mit Personalausweis und bis zu einem Höchstbetrag von 1.000 Euro in bar. Der Rest wird auf einem Girokonto gutgeschrieben.

All dies ist so vorige Woche in Indien geschehen. Dabei haben zwei Fünftel der 1,3 Milliarden Inder kein Konto. Premier Narendra Modi erklärte, daß alle 500- und 1.000-Rupien-Scheine (6,80 bzw. 13,60 Euro) ab 9. November, null Uhr ungültig seien. Ausnahmen würden für 72 Stunden in staatlichen Hotels und Apotheken, für Tickets von Bus, Bahn und Fluglinien sowie an Tankstellen, in Lebensmittelläden und für Begräbnisse bestehen. In nur wenigen Stunden waren die Geldautomaten mit dem nächst kleineren 100-Rupien-Schein (1,36 Euro) leer, und an den Tankstellen gab es kein Wechselgeld mehr.

Zwecks Umstellung wurde ein Bankfeiertag erklärt. Ab 11. November konnten die entwerteten Banknoten bis zu einer Höhe von 4.000 Rupien (54 Euro) gegen neue 500- und 2.000-Rupien-Scheine gewechselt werden. Darüber hinausgehende Beträge müssen auf ein Bankkonto gehen. Auch zukünftig können Inder nur maximal 4.000 Rupien pro Tag am Automaten abheben, in Bankfilialen 20.000 Rupien pro Woche.

Die offizielle Begründung für die Maßnahme lautet: Verhinderung von Korruption, Schattenwirtschaft, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, Falschgeld und Steuerhinterziehung. 20 bis 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entstehen steuerfrei in der Schattenwirtschaft. Nur drei Prozent der Bürger zahlen Einkommenssteuer. Erst im September endete eine Steueramnestie, und das Parlament beschloß eine landesweite Mehrwertsteuer. Von daher scheint die Stoßrichtung klar. Die Entwertung betrifft 86 Prozent des gesamten indischen Bargeldes.

Ähnlich wie Deutschland ist Indien eine Bargeldgesellschaft, bei der 80 Prozent aller Käufe in bar abgewickelt werden. Hierzulande sind es 78 Prozent gemessen an der Umsatzzahl und 50 Prozent gemessen am Wert. In den USA und Großbritannien werden hingegen 75 bis 80 Prozent aller Transaktionen bargeldlos abgewickelt. Indien zeigt, wie die weltgrößte Demokratie die bargeldlose Gesellschaft per Dekret und auf der Basis der Smartphone-Technologie einführt. Undenkbar für den Euro? Das Ende der 500-Euro-Banknote sowie Bargeldbegrenzungen in Frankreich, Spanien, Italien und Österreich sind eine logische Kette zur Bargeldabschaffung auch bei uns.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.