© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Die empfindliche Haut der Erde
Das Uno-Jahr des Bodens war praktisch wenig ergiebig, weckte aber das Problembewußtsein
Dieter Menke

Viel „Haß“ oder „Ressentiment“, wie Kritik heute heißt, zog die EU schon lange vor der Eurokrise und dem Totalversagen bei der Sicherung von Europas Außengrenzen auf sich. Nur das propagandistische Talent der Kommission, ihre politische Impotenz hinter „Visionen“ verstecken zu können, die den Etappenzielen sowjetischer Fünf-Jahres-Pläne auf dem Weg ins klassenlose Paradies fatal ähneln, fand stets schrankenlose Anerkennung. Bei der Umweltpolitik entfaltete sich dieses Talent bis zur betörenden Virtuosität: Hier ist die Zahl der Programme, Projekte, Beschlüsse, Empfehlungen, Verordnungen Legion, die die Ökosysteme, die Luft, Wasser, Böden, Wälder und Auen, Berge und Täler in einen „guten Zustand“ versetzen wollen, um letztlich auf die Weltrettung zuzusteuern.

Eines der kostbarsten Güter der Menschheit

Nicht, daß Natur- und Umweltschutz nicht jede herkulische Anstrengung wert wären. Aber zum einen muß in Generationen denken, wer auf EU-Erfolge wartet, zum anderen kollidieren die hehren ökologischen Konzepte fortwährend mit anderen Brüsseler Politiken und kommen dabei nicht selten unter die Räder. Was vielleicht nirgends anschaulicher zutage tritt als beim Thema Bodenschutz.

Die EU darf hier eine Pionierrolle für sich reklamieren. Schon 1972 gab es dazu eine, alle späteren Deklarationen an Vollmundigkeit antizipierende „Bodencharta“. Sie pries den Boden als eines der „kostbarsten Güter der Menschheit“ und präsentierte zu deren Schutz ein Zwölf-Punkte-Programm, das dem Flächenverbrauch ein Ende setzen sollte. Es dauerte dann bis zum September 2006, bis die Kommission endlich dem EU-Rat und dem Europaparlament eine konkretisierte „Bodenschutzstrategie“ vorlegte. Deren wichtigste Säule, eine in allen Mitgliedsstaaten verbindliche Bodenrahmenrichtlinie zur nachhaltigen, primär gegen die industrielle Landwirtschaft gerichtete Nutzung der Böden, wurde jedoch bis heute nicht errichtet. Zu hartnäckig fiel der nationale Widerstand der Agrarlobby in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und den Niederlanden aus. 

Hingegen gelang es Luca Montanarella, der in der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) für Bodenschutz zuständig ist, in der Agrar-, Klima-, Energie- und Entwicklungspolitik, Aspekte des Bodenschutzes zu integrieren. Überdies sei man bei einem anderen zentralen Bereich der Strategie von 2006 gut vorangekommen: der „Bodenerziehung“. In Schulen und Universitäten habe die Öffentlichkeitsarbeit der EU die junge Generation für die Notwendigkeit des Bodenschutzes sensibilisiert und damit die Entstehung eines europäischen Bewußtseins für die Bedeutung des Bodens initiiert (Politische Ökologie, 146/16).

Womit nur bewiesen ist, daß die Kommission propagandistisch brillieren kann, während Naturschützer konkrete Umsetzungen vermissen. So begraben in Deutschland nahezu ungebremst Einkaufszentren, Siedlungen und Straßen Landschaft. Georg Etscheit, einer der Gründungspioniere der Grünen in München, beklagt daher, daß ausgerechnet das als agrarisch-ländlich wahrgenommene Bayern mit 18 Hektar pro Tag deutscher Meister beim Flächenverbrauch ist. Bundesweit gehen täglich 69 Hektar – etwa hundert – Fußballfelder, für Gewerbegebiete, Freizeitanlagen, Straßen und Wohnsiedlungen drauf.

Zwar verlangsamt sich der Flächenfraß seit 2004. Das von der Bundesregierung angepeilte Ziel, ab 2020 nur noch 30 Hektar Boden zu überbauen, bleibt trotzdem ein Traum. Wie überall in Europa degradiere Deutschland, das Land mit den besten Böden, Agrarflächen zu Verkehrs- und Siedlungsflächen. Allein zwischen 2008 und 2011 waren im Bundesgebiet 120.000 Hektar umgewidmete Fläche zu registrieren – ein Areal, so groß wie Berlin und München zusammen (Natur, 7/16). 

Geradezu lehrbuchartig offenbart diese Entwicklung auch die miteinander kollidierenden EU-Politiken. Denn die seit 2009 verbindlichen, indes in keinem nationalen Parlament verhandelten Pläne zur Neuansiedlung von „Geflüchteten“, mit denen die Kommission den Druck der Überbevölkerung Afrikas und Westasiens Richtung Europa lenken will, vertragen sich nicht mit ihren Bodenschutzzielen. Enthemmter, „humanitär“ drapierter Menschenimport beschleunigt nun einmal Flächenverbrauch.

Spannungsfeld zwischen Migration und Naturschutz

Mit welchen Verlusten dabei zu rechnen ist? Darüber kann der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) seine so migrationsfreundliche wie ökologisch engagierte Klientel erst Ende 2017 aufklären. Dann dürfte auch feststehen, welche negativen Auswirkungen eine weitere EU-Politik, der den Immobilienboom anheizende Nullzins-Kurs der EZB, auf den Bodenschutz hat. Und darüber hinaus störe die EU-Agrarpolitik. So bemängelt Knut Ehlers vom Umweltbundesamt, wenn sie ungerührt klimaschädliche Formen der Landnutzung auf Moorböden prämiere und ignoriere, wie kontraproduktiv die Bioenergie-Erzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen für nachhaltigen Bodenschutz sei.

Schleswig-Holsteins grüner Umwelt- und Agrarminister Robert Habeck weist im „Bodenschutz“-Heft der Politischen Ökologie auf eine weitere brisante, die globale Dimension der Bewahrung der „vergessenen Ressource“ Boden hin. Mit dem Reaktivieren von Industrie-, Verkehrs- und Militärbrachen, dem Flächenrecycling, sowie der Schließung von Baulücken oder flächensparenden, innovativen Wohnformen, mit Bodenaktionstagen und effizientem kommunalen Flächenmanagement, dem ganzen Brüsseler Potpourri, sei es nämlich bei weitem nicht getan, so der Bewerber um die grüne Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2017. Vielmehr müsse man den Anteil der EU beim Zusammenspiel von Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, Klimawandel, Flächenverbrauch und Migration beachten.

Deswegen solle die EU-Kommission im globalen Süden nicht „Land Grabbing“, Monokulturen und andere Formen „falscher Bodennutzung“ fördern, sondern angestammte Nutzungsformen. Auch für die durch Klimawandel forcierte Wüstenbildung, für die Habeck den Ressourcenhunger von Europas Konsumgesellschaften mitverantwortlich macht, stehe die EU in der Pflicht.

Exemplarisch verlaufe der bedrohliche Prozeß in Nigeria, das jährlich 3.500 Quadratkilometer kostbaren Boden an die Sahara verliere, was Migrationsdruck erzeuge. Ebenso hätten trockene und heiße Jahre in Syrien die ländliche Bevölkerung in die Städte getrieben, wodurch das Assad-Regime weiter destabilisiert worden sei – mit dem bekannten Resultat von Bürgerkrieg und Massenexodus. 

Zumindest diese Einsicht in globale Determinanten europäischer Bodenpolitik könnte als zukunftsweisende Leitidee das an praktischen Resultaten sonst wenig ergiebige „Internationale Jahr des Bodens“ überdauern, das von der Uno ausgerufen wurde – einer anderen „visionär“ talentierten Organisation.

Magazin Politische Ökologie, 146/16:  oekom.de

Magazin Natur, 7/16:  www.natur.de

Internationales Jahr des Bodens:  www.umweltbundesamt.de