© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Gilles Kepel. Der Pariser Islam-Experte findet immer mehr Beachtung in Deutschland
Der Terror in Frankreich
Alain de Benoist

Seit seinem Erscheinen im vergangenen Dezember wurden 90.000 Exemplare von Gilles Kepels neuem Buch verkauft, das unter dem Titel „Terror in Frankreich. Der neue Dschihad in Europa“ nun auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist. 

Der 1955 in Paris geborene französische Politologe und Islam­experte, der nach Gastspielen an der London School of Economics und der Columbia University heute am Pariser Institut d’études politiques den Lehrstuhl für den Vorderen Orient innehat, machte bereits 1987 mit einer Warnschrift über „Les banlieues de l’islam“ auf sich aufmerksam und hat seither um die zwanzig vielbeachtete Titel veröffentlicht, die mehr und mehr auch in Deutschland gelesen werden.

Freilich sind Kepels Thesen keineswegs unumstritten. Zu seinen heftigsten Kritikern zählt sein Landsmann und Kollege, der ehemalige Maoist Olivier Roy, der sich inzwischen ebenfalls als Islamexperte einen Namen gemacht hat und seit 2009 in Florenz lehrt. In der Folge der Anschläge auf französischem Boden lieferten sich beide Männer eine Wortschlacht mit harten Bandagen, in der es um die Ursprünge und das Wesen des zeitgenössischen Dschihad à la Islamischer Staat im allgemeinen und um den Begriff der Radikalisierung im besonderen ging. Roy begreift den Dschihad des 21. Jahrhunderts zuvorderst als „nihilistische Revolte“, eine These, für die er die prägnante Formulierung gepägt hat: „Es handelt sich nicht um eine Radikalisierung des Islam, sondern um eine Islamisierung der Radikalität.“ Dem widerspricht Kepel; er ist überzeugt, daß sich das neue Antlitz des Terrors nur auf der Basis einer Analyse der Hegemonie des salafistischen Diskurses im zeitgenössischen Islam beschreiben läßt. Roy wirft er vor, dessen Interesse gelte eher den „Radikalitäten“ allgemein als dem Islam im speziellen. Nebenbei weist er darauf hin, daß Roy nicht Arabisch spricht, sondern seine Laufbahn in Afghanistan begann. 

„Daß Terroristen Kriminelle sind, ist juristisch richtig. Man kann aber nicht sagen, sie hätten nichts mit der Religion zu tun“, so Kepel. Gleichzeitig warnt er aber vor dem Ansinnen der französischen Rechten, den Islam aus Europa zu drängen: „Das würde sofort zu Bürgerkrieg führen.“ 

Freilich lag Kepel mit seinen Analysen nicht immer richtig. Im April 2000 prophezeite er im Nouvel Observateur vollmundig: „Die islamistische Ideologie hat keine Mobilisierungskraft mehr.“ Die folgenden eineinhalb Jahrzehnte haben ihm nicht recht gegeben – um es gelinde auszudrücken. Die eigentliche Frage ist, ob sich die Deutungsansätze Roys und Kepels tatsächlich ausschließen. Um dies zu beantworten, müßte man die Primärquellen untersuchen. Derzeit gibt es jedoch so gut wie keine Wissenschaftler, die die dazu notwendige ernsthafte Auseinandersetzung mit der Ideologie des IS führen.