© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Lesen, schenken – und hassen
Salafisten: Nach Razzien und dem Verbot des Vereins „Die wahre Religion“ haben Islamisten bereits eine neue Gruppierung gegründet
Christian Schreiber

Der König ist tot, es lebe der König. Nachdem die Polizei die Verbotsanordnung gegen den in Wuppertal ansässigen Verein „Die wahre Religion“ umsetzte, hoben deren Mitglieder nur wenige Tage später den Verein „We love Mohamed“ aus der Taufe. Dennoch wertet die Bundespolizei das Verbot und die Razzia in insgesamt fünf Wohnungen als Erfolg. Gegen mehrere Salafisten seien Verbotsverfügungen erstellt worden: Ihnen ist es nunmehr untersagt, in Fußgängerzonen den Koran zu verteilen. Auf diese Weise hatten die radikalen Islamisten in den vergangenen Monaten verstärkt versucht, Kontakt mit jungen Muslimen zu bekommen.  

Sicherheitsbehörden haben bereits im Jahr 2012 erstmals festgestellt, daß  junge bärtige Männer in weißen Jacken in vielen großen deutschen Städten unter dem Motto „Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat“ kostenlos Koran-Übersetzungen verteilen. Kopf der 2005 gegeründeten Organisation „Die wahre Religion“ ist Ibrahim Abou-Nagie, ein in Köln lebender selbsternannter Prediger. Neben Pierre Vogel, Sven Lau und dem in der vergangenen Woche festgenommenen Abu Walaa zählt er zu den führenden Salafisten in Deutschland. Für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz war die „Lies!“-Aktion das „mitgliederstärkste Netzwerk im Bereich des extremistischen Salafismus.“ 

Laut Abou-Nagie, einem gebürtigen Palästinenser, sind bis Mitte dieses Jahres etwa 3,5 Millionen Koran-Exemplare verteilt worden. Der Verfassungsschutz geht davon aus, daß diese Koran-Verteilung in Fußgängerzonen nur Fassade ist, um für eine verfassungsfeindliche Ideologie zu werben. 

Das Nachrichtenmagazin Stern hatte berichtet, daß die Behörden in „Die wahre Religion“ eine Gruppe sehen, die zur Rekrutierung dschihadistischer Islamisten beiträgt. Führende Akteure, Unterstützer und Aktivisten glorifizierten Terroranschläge und stünden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nahe. Teilnehmer seien bereits zur Beteiligung am Dschihad nach Syrien oder in den Irak gereist. Von Abou-Nagie fehlt seit den polizeilichen Maßnahmen in der vergangenen Woche jede Spur. Zuletzt vermuteten ihn Geheimdienst-Leute in Malaysia. Deren Polizei suche weiter nach dem Salafisten, sagte der Direktor des Geheimdienstes der Polizei, Mohamad Fuzi Harun, der Deutschen Presse-Agentur. 

Der im Gaza-Streifen geborene Abou-Nagie reiste als 18jähriger in die Bundesrepublik ein, studierte zunächst Elektrotechnik, versuchte sich dann erfolglos als Kleinunternehmer und lebt inzwischen von Hartz IV. Im Februar dieses Jahres verurteilte ihn das Amtsgericht Köln wegen Sozialbetrugs zu 13 Monaten Gefängnis auf Bewährung.  Zentrale Botschaft seiner Ideologie sei die Einteilung der Welt in Muslime und „Kuffar“ (Ungläubige), erklärte der Verfassungsschutz. Dem Prediger gelinge es, mit seinen einfachen islamistischen Botschaften vor allem junge Leute mit ausländischen Wurzeln anzusprechen, die sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen fühlen und auf der Suche nach Sinn und Orientierung sind. 

Auch in anderen europäischen Ländern ist die Aktion des Predigers mittlerweile aktiv. Zuletzt hatte man eine schwedische „Lies!“-Übersetzung drucken lassen, auch eine portugiesische Übersetzung soll laut Verfassungsschutz-Angaben geplant gewesen sein. Die Behörde geht davon aus, daß Nagie die Koranexemplare zum Preis von ein bis zwei Euro bezieht und sie dann für drei bis sieben Euro an jene Freiwilligen verkauft, die die Ausgaben in den Fußgängerzonen verteilen. 

Für die Haßprediger und Strippenzieher im Hintergrund stellen auch die zahlreichen muslimischen Asylbewerber in Deutschland ein enormes Rekrutierungspotential dar. Wie die Bundesregierung Anfang Oktober dem Bundestag mitteilte, hätten Islamisten beziehungsweise islamistische Organisationen versucht, unter diesen Neuankömmlingen zu missionieren und Anhänger zu rekrutieren. Dabei biete sich eine Kontaktaufnahme unter dem Deckmantel humanitärer Hilfsangebote an. 

Eine zentrale Koordinierung durch namhafte salafistische Organisationen habe dabei bislang nicht festgestellt werden können. Auf Facebook sei jedoch der Aufruf eines bekannten deutschen salafistischen Predigers erfolgt, „Teams zu bilden“ und „Flüchtlingsunterkünfte ausfindig“ zu machen. 

Freisprüche für „Scharia-Polizei“

Unterdessen hat das Landgericht Wuppertal sieben angeklagte Islamisten freigesprochen, die im September 2014 in Warnwesten mit der Aufschrift „Shariah Police“ in der Stadt patrouillierten. Die Männer waren wegen des Verstoßes gegen das Uniformverbot angeklagt worden. Die Angeklagten hätten jedoch gegen kein Gesetz verstoßen, so der Vorsitzende Richter. Die Westen seien nicht als Uniform zu werten, und von den Männern sei keine einschüchternde Wirkung ausgegangen. Der mutmaßliche Initiator der Aktion, Sven Lau, sitzt zur Zeit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Terrorverdachts auf der Anklagebank.