© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Abgeschottet
Paul Rosen

Transparenz lautet ein beliebtes Stichwort deutscher Politiker. In der Tat bemühte sich der Bundestag nach dem Umzug aus dem beschaulichen Bonn in die Metropole Berlin zunächst darum, keine künstlichen Gräben zwischen Bürgern und Politikern aufzureißen. 

Mit Eröffnung des Reichstagsgebäudes war die Möglichkeit für jedermann geschaffen worden, das Dach und die Kuppel jederzeit zu besuchen. Es war damals nicht nur möglich, mit dem Auto durch das Brandenburger Tor zu fahren, sondern auch auf dem Platz vor dem Reichstag zu parken. 

Selbst auf die Errichtung einer Bannmeile wie in Bonn mit Demonstrationsverbot hatte man in Berlin verzichtet. Der 11. September 2001 änderte alles. Die Anschläge in Amerika führten auch in Berlin zu erheblich verschärften Sicherheitsmaßnahmen. Auf das Dach des Reichstages kommt man noch, aber die Kontrollen sind so scharf wie auf einem Flughafen. Der Platz vor dem Reichstag ist jetzt den Dienstwagen der Politiker vorbehalten. Den Zugang verhindern Polizeiabsperrgitter. An zwei schmalen Durchlässen können Fußgänger und Radfahrer mit Hausausweisen des Bundestages durch.  

Daß alles aber auch noch schlimmer kommen kann, war während des Abschiedsbesuchs des amerikanischen Präsidenten Barack Obama bei Kanzlerin Angela Merkel zu erleben. Schon dort, wo man sonst vom Hauptbahnhof kommend über eine Fußgängerbrücke zum Kanzleramt gelangt, ist für Berlin-Besucher Schluß: „Zutritt nur mit Dienstausweis“, heißt es hier genauso wie rund um das Brandenburger Tor, wo sich die amerikanische Botschaft befindet. Wer an diesem Tag durch das menschenleere Parlamentsviertel schlendert, mißtrauisch beäugt von Polizei in Uniform und Zivil, weiß, wie es nach einem Anschlag, wie ihn Paris erlebte und Berlin Gott sei Dank bisher nicht, dann für immer aussehen würde. 

Für Leben sorgen nur die zahlreichen Übertragungswagen von Fernsehsendern aus allen Ländern, die am Paul-Löbe-Haus des Bundestages wie Perlen auf der  Schnur aneinandergereiht stehen und um die herum hektische Betriebsamkeit herrscht. Ein Lastwagen mit lautem und stinkendem Dieselgenerator versorgt alle mit Strom. Und die Reporter versorgen die Menschen mit Nachrichten. Manchmal auch mit falschen. So berichtete ein ZDF-Reporter: „Merkel: Deutschland hat von den USA viel Hilfe bekommen. Jetzt ist Deutschland in der Lage, die Ordnung der Welt aufrechtzuerhalten.“ Vielleicht war der Wunsch Vater des Gedankens, aber gesagt hatte Merkel nichts von einer angeblichen Welt-Ordnungsmacht Deutschland, was sofort von vielen Bloggern besonders aus der konservativen Szene kritisch aufgegriffen worden war. 

Wie so oft ist es besser, sich an ein Originaldokument als an die Äußerungen eines öffentlich-rechtlichen Reporters zu halten. Laut stenographischer Mitschrift sagte Merkel, Deutschland solle einen Beitrag leisten, um die Ordnung, „die wir lieben“, aufrechtzuerhalten „oder zumindest in unseren Ländern aufrechtzuerhalten“. Wieder einmal hat der Gebührenfunk gezeigt, wie wenig man sich auf ihn verlassen kann.