© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Ein schwarz-rotes Gesetzesfiasko
EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie: Justizminister Maas will Umsetzung nach Kritik entschärfen / Länder fordern Änderungen
Christian Schreiber

Ob Asyl- oder Eurokrise – bei den existentiellen Fragen gibt es in der Bundespolitik kein Umdenken. Die Zwangsumlage durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) steigt 2017 auf 6,88 Cent pro Kilowattstunde. Bei Angela Merkels Amtsantritt 2005 waren es weniger als ein Zehntel gewesen. Fast ein Viertel der jährlichen Stromrechnung (etwa 23 Milliarden Euro) fließt inzwischen an die Anbieter von Solar,- Wind- oder Biomasse-Strom. Aber: je höher der Strompreis, desto besser für Wolfgang Schäubles Umsatzsteuereinnahmen.

Überdrehte Umsetzung einer EU-Richtlinie

Auf Nebenkriegsschauplätzen geben sich Fachpolitiker aber lernfähig. Etwa beim von Bundestag und Bundesrat abgesegneten Umsetzungsgesetz zur Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge: „Es darf nicht sein, daß gerade ältere Bankkunden wegen dieser EU-Richtlinie eventuell nur noch schwer einen Kredit erhalten. Diese nicht gewünschte Wirkung gehört abgeschafft, und zwar schnell“, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas in der Rheinischen Post. „Möglich wäre, die Umsetzung der Richtlinie noch einmal anzupassen bzw. auf dem Verordnungsweg oder über die Bankenaufsicht Bafin für mehr Klarheit zu sorgen“, so der SPD-Politiker. Warum der Jurist Maas das nicht vor Inkrafttreten des Gesetzes am 21. März 2016 erkannte, fragte das Düsseldorfer Blatt nicht.

Jahrzehntelang konnte sich Otto-Normalverbraucher vertrauensvoll an seine Bank wenden. Wollte er eine Wohnung kaufen oder ein Haus bauen, wurde ihm in der Regel geholfen. Wer etwa ein Fünftel Eigenkapital mitbrachte, eine marktgerechte Immobilie im Auge hatte und über ein festes Einkommen verfügte, mit dem er Zinsen und Tilgung bedienen konnte, erhielt den nötigen Kredit. Als Sicherheit bekamen die Banken oder Bausparkassen in aller Regel eine Grundschuld im Grundbuch eingetragen, aus der sich die Kreditgeber im Fall der Fälle bedienen konnten.

Doch das bewährte Geschäft geriet durch Maas’ Novelle schwer ins Schlingern (JF 42/16). Nicht mehr Faktoren wie Eigenkapital, der Wert der Immobilie oder die Grundbuch-Absicherung waren relevant, sondern allein die förmliche Kreditwürdigkeit des Antragstellers. Laut EU-Vorgabe müssen aber lediglich „Faktoren, die für die Prüfung der Aussichten relevant sind, daß der Verbraucher seinen Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachkommt, in angemessener Form berücksichtigt werden“. Die deutsche Gesetzgebung schoß über dieses Ziel hinaus. Familien mit befristeten Arbeitsverträgen oder Durchschnittsrentner bekommen keine Kredite mehr, selbst dann, wenn der benötigte Betrag nur einen geringen Teil des Gebäudewerts ausmacht. „Die Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist ein Gesetzesfiasko“, erklärt Jürgen Gros, Chef des bayerischen Genossenschaftsverbands.

Ein Beispiel verdeutlicht das: Ein verwitweter, 82jähriger Rentner, der 1.000 Euro monatlich zur Verfügung hat, benötigt 10.000 Euro, um Instandhaltungsmaßnahmen in seiner Eigentumswohnung durchzuführen. Die Wohnung, die einen Wert von 75.000 Euro hat, hätte er nach alter Regelung problemlos als Sicherheit angeben können. Die Banken dürfen dies nun nicht mehr akzeptieren. Denn sollte der Rentner vor Ende der Kreditlaufzeit sterben, besteht für die Erben keine Pflicht mehr, den Kredit weiterzubedienen, weil sie geltend machen könnten, daß die Bank gegen die „Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung verstoßen hat“.

Die EU-Richtlinie sah auch vor, die in Deutschland besonders hohe Entschädigung auf den tatsächlichen Schaden, der der Bank durch die Kreditkündigung entsteht, zu begrenzen. Maas hat von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht. Die Immobilienkreditrichtlinie ist unausgegoren, klagen Volksbanken und Sparkassenvorstände, selten war sich die Branche so einig. Gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase, in der die Banken angehalten seien, ausreichend Kredite zu vergeben, sei das Gesetz sogar „geschäftsverhindernd“.

Falsche Gewißheit dauerhafter Niedrigzinsen?

Im Juli wurde die CSU in Bayern aktiv (Antrag 17/12611), im Oktober kritisierten auch Baden-Württemberg und Hessen im Bundesrat, daß die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht viel zu streng ausgefallen sei. Die Vergabe von Immobilienkrediten werde „erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht“, heißt es in dem Antrag. Ziel der Länder sei es deshalb, „Umsetzungsdefizite“ zu beseitigen, um die Darlehensvergabe in Deutschland „nicht an strengere Voraussetzungen zu knüpfen“ als in anderen EU-Mitgliedstaaten. In Österreich darf bei einem Kredit, der dem Bau oder der Renovierung einer Immobilie dient, ihr Wert weiter mit angesetzt werden.

Doch es gibt noch ein weiteres Problem. Aufgrund der niedrigen Zinsen steigen die Preise für Immobilien rasant an, in Ballungsgebieten um bis zu 40 Prozent. Banken gehen daher dazu über, Kredite mit extrem langer Laufzeit zu vergeben. Genau dies sollte die EU-Richtlinie eigentlich verhindern. Die Bundesbank warnt mittlerweile vor einer „falschen Gewißheit auf dauerhafte Niedrigzinsen“ und malt die Gefahr einer deutschen Immobilienblase an die Wand. Aber das Maas-Gesetz verhindert das nicht, es sorgt lediglich dafür, daß private Käufer, die ausreichend Eigenkapital mitbringen, aber kein Spitzeneinkommen besitzen, keinen Immobilienkredit mehr erhalten.

Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie:  dipbt.bundestag.de/