© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Mütterrente oder Räuberbande
Alterssicherungskonzepte: Der generative Beitrag hat seinen Preis / Daten und Fakten zu einem Wahlkampfthema
Jürgen Liminski

Wahlkampfthema soll die Rente nicht werden. All die Politiker, die dies vor dem „Rentengipfel“ vorige Woche sagten, wußten es besser. Und ganz oben auf der Agenda der Wahlkampfthemen steht die „Mütterrente“. Damit ist eine bessere Anerkennung von Erziehungszeiten für Kinder gemeint, die vor 1992 geboren wurden, schreibt die Rentenversicherung auf ihrer Homepage. Das könne Mütter und Väter betreffen, je nachdem, wer die Kindererziehungszeiten in seinem Rentenversicherungskonto hat.

Kinder sind Grundlage und Voraussetzung der Rente

In der Regel sind es die Mütter. Denn sie blieben meist zu Hause, um für Haushalt und Erziehung der Kinder zu sorgen. Das Bundesverfassungsgericht nennt das den „generativen Beitrag“. In einem ersten Spruch, dem Trümmerfrauenurteil vom 7. Juli 1992 – daher das Stichtagsjahr – stellten die Richter die Benachteiligung von Eltern mit mehreren Kindern gegenüber Kinderlosen heraus und forderten, daß die Zeiten der Kindererziehung bei der Bemessung der Rente berücksichtigt werden müßten. Denn Kinder seien die Grundlage und Voraussetzung für die Bestandserhaltung des Systems oder des Generationenvertrags. Familien sollten entsprechend entlastet werden.

Daraufhin führte die damalige Regierung Kohl die Erziehungszeiten ein. Drei Jahre wurden pro Kind zugestanden, allerdings erst ab 1992. Für Geburten davor gab es nur ein Erziehungsjahr. Diese Ungleichbehandlung wurde ab dem 1. Juli 2014 abgemildert, indem ein weiteres Jahr Erziehungszeit eingeräumt wurde. Jetzt sollen nach dem Willen der CSU alle drei Jahre Erziehungszeit angerechnet werden. Betroffen sind rund 9,5 Millionen Mütter. Die Rente für die älteren Mütter erhöht sich durch dieses dritte Jahr um durchschnittlich 30,45 Euro pro Monat und Kind. Die Gesamtkosten belaufen sich anfänglich auf 6,5 Milliarden Euro. Sie werden sinken, weil seit Mitte der sechziger Jahre die Zahl der Kinder sinkt und weil die älteren Mütter das Ende der Lebenszeit erreichen. Ab und zu steigen die Kinderzahlen etwas, wie im letzten Jahr, weil die Enkel der Babyboomer im Elternalter sind. Über längere Zeiträume hinweg aber sinken sie.

In der 6,5-Milliarden-Rechnung steckt auch eine bisher nicht zur Geltung gekommene Anerkennung. Denn ein Rentenanspruch setzt voraus, daß fünf Jahre mit Beitragszeiten vorhanden sind. Mütter von zwei Kindern, die sich der Erziehung und dem Haushalt widmeten und keinem Erwerbsberuf nachgegangen sind, konnten nur vier Jahre vorweisen. Jetzt wären es sechs Jahre – und damit haben sie erst einen Anspruch auf Rente. Allerdings gilt auch: In dieser Mütter-Generation waren bis Mitte der sechziger Jahre drei bis vier Kinder keine Seltenheit, vor allem Frauen der Jahrgänge 1935 bis 1945 konnten deshalb die Erhöhung spüren – ein Beitrag gegen Altersarmut –, und sie waren es, die maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau des Landes hatten. Es war eben die Trümmerfrauengeneration.

Kinderlose profitieren am meisten vom Rentensystem

Gegner der Mütterrente argumentieren gelegentlich biblisch, um christlichen Befürwortern Wind aus den Segeln zu nehmen. Das vierte Gebot sei gewissermaßen die Grundlage des gesellschaftlichen Generationenvertrags. Aber es gibt einen grundlegenden Unterschied: Das Gebot betrifft die eigenen Eltern, der Generationenvertrag unseres Sozialsystems fordert dagegen eine anonyme Solidarität mit fremden Mitbürgern. Zu denen gehören auch Kinderlose, die im Alter von den Beiträgen jüngerer Menschen leben, ohne daß sie selber einen generativen Beitrag geleistet haben. Sie profitieren am meisten vom Rentensystem.

Und wer zahlt? Die Wirtschaftsverbände BDI und BDA, die traditionell nichts für Familie übrig haben, sprechen wie gleichgesinnte, an Gerechtigkeit für Familien uninteressierte Medien von einem „Geschenk“ und warnen vor höheren Rentenbeiträgen. Sie verkennen aber die Finanzierungsströme bei der Rentenversicherung. Die Erziehungsleistung für nach 1992 geborene Kinder wird seit zwei Jahrzehnten aus der Steuerkasse gezahlt. Da für die meisten Mütter dieser Kinder die Rente erst in etwa zehn Jahren fällig wird, hat die Rentenkasse aus dem Staatssäckel bisher mehr als 150 Milliarden Euro erhalten, die in den allgemeinen Rentenleistungen aufgingen, statt als Rücklage zu dienen. Es war ein Vorschuß auf die Rentengerechtigkeit.

Natürlich ist auch die Frage berechtigt, wer die Zukunft bezahlen soll. Seit 2015 gehen rund 300.000 Arbeitnehmer mehr in Rente als auf den Arbeitsmarkt kommen. Bis Mitte nächsten Jahrzehnts wird dies zum Massentrend. Bei den Summen, um die es dann geht, ist die Mütterrente nur eine Nachkommazahl.

Sicher aber ist: Unrecht gebiert Unrecht. Ein Staat, der die gesellschaftlich unverzichtbare Leistung der Mütter diskriminiert, zerstört nicht nur die Voraussetzungen, von denen er lebt und die er selber nicht schaffen kann (Böckenförde). Er sanktioniert auch Unrecht. Und das macht ihn, wie Augustinus schon schrieb, zur Räuberbande.