© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Keine Zeit zum Lockenwickeln
Karriere: Der Talkshow-Philosoph Richard David Precht ist nicht daran interessiert, in die Politik zu gehen
Richard Stoltz

Das klang nicht gerade souverän von dem Populärphilosophen und Medienliebling Richard David Precht (52). In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung über das Thema „Politik und Politikbeobachtung“ befragt, ob er nicht selber Lust habe, Politiker zu werden, verneinte er und berief sich dabei auf den großen antiken Philosophen Platon. „Platon hätte die Rolle eines Perikles spielen können, hat aber zugunsten des Philosophendaseins darauf verzichtet.“ Was dem Platon recht war, kann dem Precht allemal billig sein.

Aber wieso denn Platon? Der wäre bekanntermaßen doch sehr gern aktiver Politiker gewesen.  Noch als Vierzigjähriger fuhr er volle dreimal von Athen zu dem mit ihm befreundeten Tyrannen von Syrakus, Dionysios, um dessen Ratgeber zu werden und in dessen Namen den idealen Staat zu errichten. Die Sache ging allerdings schief. Dionysios wurde des Gezappels von Platon bald müde und verkaufte ihn kurzerhand auf dem Sklavenmarkt von Aigina an einen Friseur.

Der große Möchtegern-Politiker wurde also unversehens zum Lockenwickler und Perückenmacher und überstand das Abenteuer nur, weil ihn seine reiche und einflußreiche Familie von Athen aus wieder loskaufen konnte. Einige Historiker sagen freilich, Platon habe das alles nur für den jungen Dion getan, der der Neffe des Tyrannen war und voller Leidenschaft selber Tyrann und Schöpfer eines idealen Staates werden wollte – und den er, Platon, sehr geliebt haben soll.

Daß Precht sich in dem NZZ-Interview hinter Platon versteckt, dabei aber das berühmte sizilianische Politabenteuer einfach verschweigt, gibt Rätsel auf. Ein Dion, welchen Geschlechts auch immer, ist nicht bekannt. Aber vielleicht ist Precht – nicht zuletzt durch seine Platon-Lektüre – mittlerweile davon überzeugt, daß ein aktives Politikerleben früher oder später doch nur zu Lockenwickeln und Perückenmacherei führt, man diese Einsicht jedoch aus Karrieregründen lieber bei sich behalten sollte. Berlin 2016 ist nicht Syrakus 388 v. Chr.