© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Zwischen Bio und Öko liegt ein weites Feld
EU-Verordnung sichert nur Mindeststandards ab / Demeter setzt auf biologisch-dynamische Landwirtschaft
Fabian Schmidt-Ahmad

Daß das Volk besser schläft, wenn es nicht weiß, wie Würste und Gesetze gemacht werden, das wußte schon Otto von Bismarck. Daher überraschte es niemanden, daß auch bei deutsch-türkischen Imbißläden in Hamburg nicht alles mit rechten Dingen zugeht. „Was als Döner aus Kalbfleisch verkauft wird, enthält häufig auch Putenfleisch, Fleischbrät und Zusatzstoffe wie Glutamat“, klagte vorige Woche das NDR-Magazin „Markt“. Dabei sei dies „im klassischen Döner nicht erlaubt“, belehrte Volkmar Heinke, Lebensmittelchemiker beim Landesamt für Landwirtschaft in Rostock, die Zuschauer.

Brät – also „zerrissene Skelettmuskulatur, inklusive Gefäßen, Nerven und Fettgewebe“ – könne „im Prinzip alles sein“ und gehöre „in eine Brühwurst“, so Heinke. Und dabei ist es doch ganz einfach, die aktuellen deutschen Gesetze einzuhalten: einfach die von Großproduzenten fertig angelieferten „Drehspieße“ auch als solche deklarieren und nicht weiter als „Döner“ verkaufen.

Biolebensmittel sind längst ein Milliardengeschäft

Angesichts solcher Geschichten und dem Wissen, daß nicht nur Drehspießfleisch aus der Massentierhaltung stammt, ist es verständlich, daß Bio voll im Trend liegt (JF 26/15). Betrug der Umsatz von Biolebensmitteln 2014 noch 7,8 Milliarden Euro, so steigerte sich dieser 2015 um elf Prozent auf 8,6 Milliarden Euro, ermittelte die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Antreiber dieser Entwicklung sind Aldi, Lidl, Netto, Rewe & Co., die immer mehr eigene Bioprodukte anbieten.

Zwei Drittel der Biolandwirte sind laut dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft in Verbänden organisiert. Zusammen mit den diversen Händlermarken ergibt das eine verwirrende Vielfalt von Biolabels, die den Käufer häufig mehr ratlos als informiert zurücklassen. Fakt ist, wer hierzulande Produkte als „biologisch“ oder „ökologisch“ vertreibt, muß die Mindestanforderungen der EU-Ökoverordnung einhalten. Danach sind Geschmacksverstärker, künstliche Aromen, Farbstoffe und Emulgatoren verboten. Bei der Erzeugung dürfen weder synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel noch gentechnisch veränderte Organismen eingesetzt werden. Endprodukte müssen zu mindestens 95 Prozent aus biologisch hergestellten Zutaten bestehen, um das EU-Öko-Siegel zu erhalten.

Neben Landwirten, die sich mit diesen Mindestanforderungen begnügen – nach der Form des alten Biosiegels als „Sechseck-Bauern“ verspottet –, gibt es eine Vielzahl von Verbänden, die nach strengeren, oft weltanschaulich begründeten Kriterien wirtschaften. Um diese zu verstehen, hilft ein Blick zurück. Denn noch vor hundert Jahren produzierten deutsche Bauern ausnahmslos „biologisch“. Die heutige Landwirtschaft dagegen ist ein Produkt des Ersten Weltkriegs. Nach diesem und angesichts der verlorenen Ostgebiete stand das Deutsche Reich vor der Aufgabe, mehr Menschen durch weniger Boden zu ernähren. Eine Lösung bot der Einsatz von Kunstdünger zur Ertragssteigerung.

Die Grundlagen zu dessen Produktion durch Ammoniaksynthese hatten der Chemiker Fritz Haber und der Industrielle Carl Bosch geschaffen. Gleichzeitig war das Haber-Bosch-Verfahren Grundlage der Sprengstoffproduktion, ohne die sich das Reich im Ersten Weltkrieg kaum hätte behaupten können. Daher standen gewaltige Produktionskapazitäten zur Verfügung sowie das durch Kriegsgesetze geschaffene Instrumentarium, diese neue Form der Landwirtschaft dem konservativen Bauernstand auch aufzuzwingen. Gewissermaßen letzter Erbe dieser Art staatlich gesteuerter, auf Massenproduktion ausgelegter Landwirtschaft ist die EU-Agrarpolitik, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte.

Diese konventionelle Form der Landwirtschaft lehnen die Öko-Verbände ab. Platzhirsch unter ihnen ist Bioland mit rund sechstausend Betrieben und einer Anbaufläche von insgesamt rund 286.000 Hektar, gefolgt von Naturland mit rund 2.600 Betrieben und einer Anbaufläche von 136.000 Hektar. Bioland, das seine Wurzeln bis auf die Schweizer Jungbauernbewegung zurückführt, wurde 1971 gegründet. Der deutschen Umweltschutzbewegung verdankt Naturland seine Entstehung 1982. Wie bei vielen anderen Verbänden verpflichten sich ihre Betriebe dazu, parallel keinen konventionellen Landbau zu betreiben, wie es die EU allerdings erlaubt. Naturland hat nach eigenen Angaben die ersten Richtlinien für eine ökologische Fischzucht entwickelt, um der Überfischung der Meere zu begegnen.

Mehr Respekt vor Erde, Pflanze, Tier und Mensch

Der zugleich älteste wie elitärste Verband ist Demeter mit rund 1.500 Betrieben und einer gesamten Anbaufläche von 73.000 Hektar. Die biologisch-dynamische Demeter-Landwirtschaft beruht auf Anregungen Rudolfs Steiners, dem Begründer der Anthroposophie, die dieser 1924 gab. Vier Jahre später schlossen sich Landwirte zur Verwertungsgesellschaft Demeter zusammen. 1928 wurde das bis heute existierende Gut Marienhöhe bei Bad Saarow in Brandenburg als Musterhof zur experimentellen Überprüfung der biologisch-dynamischen Grundsätze umgestellt. Auf dem kargen märkischen Boden sollte die Richtigkeit einer Vorgehensweise bewiesen werden, die vielen etwas befremdlich ist. Durchaus mit Erfolg, was nach 1933 teilweise Interessen der Nationalsozialisten weckte, ein bis heute immer wieder angebrachter Vorwurf. Später war Marienhöhe dann der wohl einzige Biobauernhof der DDR.

Ausgangspunkt bei Demeter ist die ganzheitliche Erfassung des einzelnen. Dieser ist die mikrokosmische Widerspiegelung der Welt als Makrokosmos. Bindeglied ist der Bauernhof als organische Einheit von Mensch und Natur. Seine Erzeugnisse, die „Urproduktion“, ermöglichen dem übrigen wirtschaftlichen Organismus die Existenz. Dessen Gesetzmäßigkeiten, wie sie sich in der Arbeitsteilung ausdrücken, werden schädlich, wirken sie auf diese Urproduktion zurück. Der Agrarbetrieb ist daher eine lebendige Einheit, aus den Menschen und der sie umgebenden Natur gebildet.

Aus deren Gesetzmäßigkeiten soll die biologisch-dynamische Landwirtschaft abgeleitet werden, in dem „das Rind als Zentralorgan“ steht, wie der Demeter-Pionier Karl-Ernst Osthaus in seinem Buch „Weg aus der Krise durch die Landwirtschaft der Zukunft: Heilung für Erde, Pflanze, Tier und Mensch“ (Pelagius Seminar 2005) schreibt. Von diesem Zentralorgan ausgehend leitet sich die Aufgabe der Schweine als „Abfallverwerter“ ab, die in einem gewissen Zahlenverhältnis zum Rind stehen müssen. Demeter ist daher der einzige Verband, der seinen Mitgliedern zwingend Tierhaltung vorschreibt. Dabei sind gerade Anthroposophen häufig Vegetarier.

Bei aller Vielfalt ist allen Verbänden jedoch eines gemeinsam: sie wehren sich gegen den Vorwurf, im Zeichen der Überbevölkerung nur das Lebensgefühl einer elitären Schicht auf Kosten der globalen Allgemeinheit zu befriedigen. Im Gegenteil sei es die konventionelle Wirtschaftsweise, die weltweit die Böden für künftige Generationen durch Auslaugung und Erosion unfruchtbar mache.

Bio-Marke Demeter:  www.demeter.de

Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft:  www.boelw.de