© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Grüße aus Bern
Frierend und beseelt
Frank Liebermann

Der Winter ist meine liebste Jahreszeit. Im Gegensatz zu den anderen Jammerlappen, denen es immer zu kalt, neblig oder feucht  ist, mag ich die finstere Jahreszeit. Im Bahnhof hängen Kugeln und Deko, Bern leuchtet hell. Rauschebärte sind im Stadtbild anzutreffen, dieses Mal nicht von Hipstern oder gläubigen Muslimen, sondern von Nikoläusen. 

Selbst die Nachbarn haben nun ihre Balkone und Vorgärten mit leuchtenden Rentieren, Weihnachtsmännern und bunten Bäumen geschmückt. Zeit, um endlich den Weihnachtmarkt zu besuchen. Besser gesagt, die Weihnachtsmärkte. Trotz seiner überschaubaren Größe hat Bern nämlich gleich zwei davon. Auf dem Münster- und auf dem Waisenhausplatz.

Zu meinem ersten Besuch verabrede ich mich mit ein paar Freunden. Wohlgemut marschiere ich los. Es hat Minusgrade und ein eisiger Wind weht. Die Häuser und die Lauben darunter schützen nur begrenzt. Doch die Berner lieben ihre Weihnachtsmärkte. Es ist erst später Nachmittag, die meisten Besucher sind noch nüchtern, aber es ist schon brechend voll. 

Normalerweise würde ich solche Getränke nicht mit der Kneif-zange anfassen.

Als ich meine Freunde entdecke, wird mir ein Becher entgegengestreckt. Freudig nehme ich den ersten Schluck des Jahres. Der Wein riecht nach Zimt, ist klebrig, die schlechtgespülte Tasse haftet an meinem Handschuh. Den Rum schmecke ich deutlich heraus, hier hat der Gastronom nicht gegeizt.

 Normalerweise würde ich solche Getränke nicht mit der Kneifzange anfassen, aber es weihnachtet. Und daher verwundert es mich nicht, wenn der erste Glühwein noch weh tut. Hier hilft nur eiserne Disziplin. Zügig, aber ohne Hast leeren wir die Becher, die nächste Runde hole ich. Die Gespräche werden lockerer, die Kälte kriecht den Körper hoch. Um diese etwas abzuschütteln, mache ich eine Anstandsrunde um die Stände, um zu sehen, was dort feilgeboten wird. Keramikkugeln, Kerzen, Bürsten und andere seltsame Dinge werden zu völlig überteuerten Preisen angeboten. Kaum jemand kauft etwas. Nach zwei Minuten bin ich wieder bei meinen Kollegen angekommen, denn der Markt vor dem Münster ist sehr überschaubar.

 Ein Freund motiviert mich, mit ihm ein benachbartes Gasthaus zum Austreten aufzusuchen. Der Wirt verlangt 50 Rappen für den WC-Besuch oder Konsum. Wir entscheiden uns für Obstler. Draußen nehmen wir noch zwei Runden. Frierend, aber beseelt gehe ich nach Hause.