© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Einer gegen alle – es sollte nicht sein
Österreich: Van der Bellen wird erster grüner Präsident des Alpenstaats / FPÖ sieht gute Basis für kommende Wahlen
Verena Inauen

In einen wahren Freudentaumel brachen die von der amerikanischen Präsidentschaftswahl und dem Brexit-Votum schockierten europäischen Politiker nach der Verkündung des österreichischen Ergebnisses bei der Bundespräsidentschaftswahl aus. Der deutsche Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel reagierte erleichtert: „Das ist ein Sieg der Vernunft. Ganz Europa fällt ein Stein vom Herzen.“ Von einem guten „Zeichen gegen Populismus“ sprach  auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) angesichts von 53,8 Prozent Zustimmung für Alexander Van der Bellen. Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bezeichnete 46,2 Prozent Zustimmung für Norbert Hofer als „eine schwere Niederlage für Nationalismus, Rückwärtsgewandtheit und antieuropäischen Populismus“. Aufatmen war auch aus Italien zu vernehmen, wo der Außenminister Paolo Gentiloni von einer „guten Nachricht für Europa“ sprach.

35 Prozent – FPÖ führt in Meinungsumfragen 

Von einer Niederlage ist in der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) aber keineswegs die Rede. Die Führungsspitze von Parteichef Heinz-Christian Strache, seinem Stellvertreter Johann Gudenus bis hin zu EU-Parlamentarier Harald Vilimsky und Generalsekretär Herbert Kickl sind sich einig: „Jeder zweite hat freiheitlich gewählt. Das ist eine gute Basis für kommende Wahlen.“

Die hohe Zustimmung zum freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer will die FPÖ nun allerdings bei der kommenden Nationalratswahl nützen und erwartet einen weiteren Aufschwung. Meinungsforschungsinstitute sehen die Freiheitlichen mit über 35 Prozent klar an der Spitze. Gefolgt von den Altparteien SPÖ mit 27 Prozent beziehungsweise ÖVP mit nur noch 18 Prozent Zustimmung. Regulär ist die Parlamentswahl für das Jahr 2018 geplant, vorgezogene Neuwahlen werden derzeit aber sowohl bei den Blauen als auch bei den Schwarzen diskutiert. Strache hat für das Amt des Bundeskanzlers bereits den ersten prominenten Unterstützer. Kurz nach der Auszählung der Bundespräsidentschaftswahl dankte Hofer dem langjährigen Parteivorsitzenden für dessen Rückhalt und versprach seine Hilfe für jede kommende Wahl.

Prominente Unterstützung war es auch, die dem ehemaligen Bundesobmann der Grünen, Alexander Van der Bellen letztendlich zum Amt des zukünftigen Bundespräsidenten verholfen hat. Neben einem Kurzfilm einer Kriegsüberlebenden, die für den 72jährigen warb, sprangen Van der Bellen auch Musiker, Schauspieler und Politiker jeglicher Couleur zur Seite. Sein Wahlkampfleiter Lothar Lockel griff indes zu heimatverbundenen Wahlsprüchen aus dem freiheitlichen Lager, um auch Wähler aus der bürgerlichen Mitte und rechts davon zu gewinnen. „Heimat braucht Zusammenhalt“ war dort etwa in patriotischer Manier auf den Plakaten zu lesen.

In einer ersten Stellungnahme gegenüber der JF zeigte sich Hofer zwar enttäuscht aber gefaßt. „Was das Ergebnis für die Zukunft bedeutet? Es bedeutet, daß ich wieder antreten werde“, ließ sich der langjährige Parteifunktionär nicht entmutigen. Das Rüstzeug dafür erwarb er bereits in den vergangenen sechs Monaten. Während der Zeit ohne ein offizielles Staatsoberhaupt leiteten die drei Nationalratspräsidenten die Geschicke des Landes. Einer davon – Hofer. 

Während Van der Bellen Unterstützer aus jeglichen politischen Lagern und Personen der Öffentlichkeit für sich gewinnen konnte, stand Hofer als Einzelkämpfer im neunmonatigen Wahlkampf. „Es war einer gegen alle. Das gesamte politische Establishment hat sich versammelt, um eine Erneuerung zu verhindern“, kommentierte Hofers Wahlkampfleiter Herbert Kickl das Ergebnis. 

Zufrieden reagierte indes der zukünftige Präsident Van der Bellen und reichte Hofer nach der ersten Hochrechnung die Hand. Nach seiner Vereidigung möchte er die beiden kontroversen Lager einen und ein „Präsident für alle“ sein, wie er in einer ersten Stellungnahme gegenüber dem Nachrichtensender ORF sagte. Mit seiner Vereidigung am 26. Januar 2017 wird der Wahlkampf der Superlative endgültig beendet sein und als historisches Ereignis nach der Wahlanfechtung im Juni und Verschiebung der Wiederholung im Oktober in die Geschichtsbücher von Österreich eingehen. Das erste Mal stellt ein Kandidat der Opposition das Staatsoberhaupt. Bald könnte aber auch ein bisheriger Oppositionspolitiker das Amt des Bundeskanzlers bekleiden.