© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Schutzpatron irdischer Heerscharen
Ausstellung: Das Ikonen-Museum in Recklinghausen zeigt „Kriegerheilige“
Karlheinz Weißmann

Der Begriff „Kriegerheiliger“ ist nicht geläufig. Mit einer gewissen Mühe könnte man auf jene Heiligen kommen, die in der Vergangenheit für die eigenen Schlachtreihen zu Hilfe angerufen wurden: St. Michael, St. Georg vor allem, selbstverständlich auch St. Jakobus und die heilige Johanna. Aber es bleibt ein gewisses Maß an Irritation. Das hat mit einer alten kulturellen Prägung der Menschen des Westens zu tun. Denn das Abendland zögerte lange, die Reserve des Christentums gegenüber dem Töten, auch dem Töten im Krieg, aufzugeben und dann sogar Krieg und Religion so nahe zusammenzurücken, wie es die Vorstellung von „Kriegerheiligen“ verlangt.

Deren Verehrung war immer und in erster Linie eine Sache des Ostens, also der Orthodoxie. Das hat seine Ursache in zwei Faktoren: der Verschmelzung von Kirche und Kaisertum im byzantinischen Reich, und dessen massive militärische Bedrohung durch die Perser, dann aber vor allem durch den Islam, getragen von Arabern und Türken. Deshalb entwickelte sich im Lauf des ersten Jahrtausends die Idee, daß St. Michael nicht nur Oberkommandierender der Himmlischen, sondern auch der irdischen Heerscharen sei, und ihm zur Seite traten die „Reiterheiligen“: die beiden Theodoros (einer ein General, einer ein Rekrut), Demetrios, Menas und Georg. Soweit feststellbar, handelte es sich immer um Männer, die als Soldaten das Martyrium erlitten hatten, meistens während der letzten großen Verfolgungswellen unter Decius und Diokletian im 3. Jahrhundert und zu Beginn des 4. Jahrhunderts. Dargestellt wurden sie vor allem auf Ikonen, jenen besonderen, streng stilisierten Kultbildern, die eine so entscheidende Rolle für die Ostkirche spielen.

Das Ikonen-Museum Recklinghausen hat in seiner aktuellen Ausstellung eine beeindruckende Zahl dieser Kunstwerke zusammengestellt. Da es zum Wesen der Ikone gehört, möglichst keine Abweichung vom Grundmuster vorzunehmen, wirken viele stereotyp, aber doch eigen im Hinblick auf die Art der Präsentation, die Konzentration auf das Hauptmotiv oder die Hinzufügung bestimmter Attribute, die Verbindung mit anderen Ikonen oder die Alleinstellung. Im Regelfall wurden Kriegerheilige als Soldaten gezeigt, meistens in der Uniform der Zeit, erst relativ spät hat man historisierend gearbeitet. Für gewöhnlich steht der Heilige in ruhiger Pose da, nur ausnahmsweise werden Szenen seines Martyriums gezeigt.

Seit dem 6. oder 7. Jahrhundert wurde es allerdings üblich, ihn auch als Triumphator zu zeigen, der eine Schlange, einen Drachen oder Feind in Menschengestalt besiegt hat, der niedergestoßen oder niedergeritten erscheint oder zu Füßen des Helden liegt. Diese Darstellungen waren ursprünglich allegorisch gemeint und bezogen sich auf das Überwinden der Versuchung, aber im Laufe der Zeit nahm der Kampf, den der Heilige zu führen hatte, einen immer realistischeren Charakter an. Das gilt vor allem für St. Georg, der bezeichnenderweise erst nach seiner Verwandlung vom Großmärtyrer zum Drachentöter im Westen populär wurde und seit dem 11. Jahrhundert zum Schutzpatron der Ritter, insbesondere der Kreuzritter, aufstieg.

Dieser Zusammenhang zwischen der Verehrung von Kriegerheiligen und der Latenz militärischer Konfliktlagen ist so evident, daß er auch erklärt, warum deren Verehrung neben der griechischen vor allem die russische Orthodoxie erfaßte. Die übernahm einerseits den Traditionsbestand, ergänzte ihn aber um jene Männer, die gegen die Ungläubigen – insbesondere die Mongolen – gekämpft hatten oder den Zeugentod gestorben waren. Die Gruppe deckte sich teilweise mit einer weiteren, nämlich jenen russischen Herrschern, die entweder das Martyrium erlitten oder das Vaterland gegen seine Feinde verteidigten.

Die interessanteste Gestalt in diesem Zusammenhang dürfte allerdings eine Figur sein, die sich dem üblichen Muster kaum fügt: Alexander Newski, Großfürst von Nowgorod, Kiew und Wladimir in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dreihundert Jahre nach seinem Tod sprach ihn die orthodoxe Kirche heilig, und für den Patriotismus der Zaren-, der sowjetischen und der postsowjetischen Zeit hatte diese Gestalt immer außerordentliche Bedeutung.

Allerdings war Alexander Newski weder Märtyrer noch Kämpfer gegen die Glaubensfeinde im Osten. Sein Name verknüpft sich vielmehr mit dem russischen Sieg über die Schweden und den Deutschen Orden, zwei katholische Mächte. Eine Frontstellung gegen Westen, die der Orthodoxie heute im Zweifel entgegenkommt, genauso wie einem russischen Nationalbewußtsein, das nicht einmal eurasisch orientiert sein muß, um an einer Vorstellung Gefallen zu finden, deren Fundamente in mythischer Vergangenheit liegen, und die in der kollektiven Vorstellungswelt lebendig ist, weil die bis heute sehr stark durch den Bilderreichtum der Ikonen geprägt wird.

Die Ausstellung „Von Drachenkämpfern und anderen Helden. Kriegerheilige auf Ikonen“ ist bis zum 12. Februar 2017 im Ikonen-Museum Recklinghausen, Kirchplatz 2a, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der informative Katalog mit 240 Seiten und  ausgezeichneten Abbildungen kostet 35 Euro. Telefon: 0 23 61/ 50 19 41

 www.ikonen-museum.com