© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Aufgeschnappt
Anklagende Verteidiger
Gil Barkei

Der Verhandlungssaal im Berliner Landgericht ist am 6. Dezember voll. Neun Männer aus Ostrumänien sitzen auf der Anklagebank. Hinzu kommen mehrere Angehörige, die Richter, die Staatsanwaltschaft, Dolmetscher sowie 15 Verteidiger und ein knappes Dutzend Justizvollzugsbeamte. 

Den zwischen 25 und 31 Jahre alten Angeklagten wird vorgeworfen, bandenmäßig organisiert in insgesamt 22 Fällen Kupferkabel im Wert von 285.000 Euro aus dem Stromnetz der Berliner S-Bahn gestohlen zu haben. Doch zur Verlesung der Anklageschrift kommt es erst gar nicht. Einer der Verteidiger stellt einen Befangenheitsantrag gegen einen Schöffen. Dieser habe sich im Internet positiv zu Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ geäußert. Ein Schöffe, der einen „Rechtspopulisten“ wie Sarrazin gut fände, sei für seinen Mandanten nicht hinnehmbar. Das Gericht unterbricht den Prozeß, um das Facebook-Profil des mutmaßlichen Meinungstäters zu prüfen. Resultat: Das „Like“ ging nur an einen Literaturblog, nicht an das Buch an sich.

Am Dienstag dieser Woche nun gab es einen erneuten Anlauf für die Verhandlung. Ergebnis: Der Schöffe bleibt, das Gericht lehnte den Befangenheitsantrag der Verteidigung ab.