© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Ohne Distanz und frei von Argumenten
Gutachten: Anetta Kahane wittert eine „rechte Kampagne“
Thorsten Hinz

Die Amadeu-Antonio-Stiftung präsentiert auf ihrer Netzseite einen gut 40 Seiten langen Text mit dem Titel: „Als Meinungsfreiheit getarnter Haß. Die rechte Kampagne gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung“. Dabei soll es sich um ein, wie es heißt, „Wissenschaftliches Gutachten“ handeln. Verfasser Samuel Salzborn hat seine publizistische und akademische Karriere mit Themen wie „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, Rechtsextremismus und Antisemitismus vorangetrieben. Der heute 39jährige wurde 2012 als Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften an die Göttinger Universität berufen. Seine Professur läuft trotz Interventionen aus Politik, Medien und Interessenverbänden zum Jahresende aus. 

Mit dem Gutachten antwortet die Stiftung auf die anhaltende Kritik an ihrer Tätigkeit, die nochmals angeschwollen ist, seitdem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sie als „Task Force“ gegen „Haßsprache“ im Internet engagiert und mit semistaatlicher Hoheit ausgestattet hat. 

Auswahlprinzip           wird nicht erläutert

Das Gutachten ist in sechs Kapitel gegliedert. Die Einleitung beginnt mit der Behauptung: „Die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) ist ein wichtiger zivilgesellschaftlicher Akteur in der bundesdeutschen Demokratie, der sich seit fast zwei Jahrzehnten in umfangreichem Maße gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert (...).“ Der Gutachter macht sich die Selbstbeschreibung der Stiftung zu eigen, in der es heißt: „Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu-Antonio-Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.“

Damit ist von Anfang an klar, daß Salzborn nicht über die für ein „wissenschaftliches Gutachten“ nötige Objektivität und Distanz verfügt und lediglich ein Plädoyer, eine Verteidigungsschrift verfaßt hat.

Im zweiten Kapitel, „Pluralismus, Meinungsfreiheit und Internet“, referiert er die „wehrhafte Demokratie“, die sich ihrer Abschaffung durch vordergründig demokratische Mittel erwehrt. Wieder geht Salzborn von einer unbewiesenen Voraussetzung aus, wenn er die Praktiken des Justizministers und der Stiftung mit der Verteidigung der Demokratie identifiziert. Er erklärt weder seine wissenschaftliche Methodik noch definiert er die Begriffe, mit denen er operiert. Das Kapitel schließt mit einem für den gesamten Text repräsentativen Zitat: „Eine nicht zu unterschätzende Zahl ist vom Mitbürger zum fanatischen Wutbürger mutiert. Dieser mißbraucht teils anonym, teils mit seinem Namen die Online-Medien als Resonanzraum zur Verbreitung von Haß- und Hetztiraden. Auf diese Weise wird das Internet immer mehr zum Stammtisch des 21. Jahrhunderts, einem Platz für dumpfe Parolen und aggressive Attacken.“ Die Sätze entstammen einem Meinungsbeitrag der CDU-Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann. Salzborn zitiert diese parteipolitisch motivierte Polemik als wissenschaftlichen Beleg.

Der dritte Teil, „Datenbasis des Gutachtens“, besteht lediglich aus zwei Sätzen, denen man entnimmt, daß der Gutachter „öffentliches und nicht-öffentliches Material“ genutzt hat. Das Auswahlprinzip wird nicht erläutert. Er unterscheidet nicht zwischen anonymem Unflat aus dem Internet und wohlbegründeter Kritik und nutzt das eine, um das andere zu diskreditieren.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem „Verlauf und Inhalt der Kampagne“. Eine Begründung, warum die massive Kritik eine „Kampagne“ darstellt, zu der ein Mindestmaß an Planung und Koordinierung gehören, bleibt Salzborn schuldig. Die naheliegende Frage, was eine Kampagne zu einer „rechten“ Kampagne macht, erspart er sich ebenfalls.

Als führende Kampagnenteilnehmerin macht Salzborn die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld namhaft. Er ignoriert, daß in Lengfelds Texten der antiautoritäre Geist der DDR-Bürgerrechtsbewegung nachwirkt und sie als ausgewiesenes Stasi-Opfer natürlicherweise allergisch reagiert, wenn Stiftungschefin Annetta Kahane mit ihrer Stasi-Vergangenheit erneut mit der Kontrolle Andersdenkender betraut wird. 

Weiterhin hebt Salzborn den als „Don Alphonso“ bekannt gewordenen Rainer Meyer hervor, der unter dem Dach der FAZ einen Blog betreibt (JF 8/16). Meyer pflegt eine snobistische Attitüde und macht keinen Hehl daraus, Wert auf soziale und kulturelle Distinktion zu legen. Ausweislich seiner Texte ist er ein Liberaler, der aufbegehrt, wenn er Bevormundung durch subalterne Figuren gleich welcher Partei wittert. 

Die fehlende Beweiskraft versucht Salzborn durch einen schwachen Exkurs zur „Neuen Rechten“ sowie durch wortreiche Ausführungen zu den „Varianten des Hasses“ im fünften Kapitel zu kompensieren. Die Spinnennetz-Metapher, die für die Amadeu-Antonio-Stiftung verwendet wird, stellt er auf eine Ebene mit der Ungeziefer-Rhetorik der Nationalsozialisten. Damit insinuiert er einen eliminatorischen Antisemitismus als untergründiges Motiv der Kahane-Kritiker.

In der „Zusammenfassung und Schlußfolgerung“ kommt Salzborn zu dem Ergebnis, man könne „anhand der rechten Kampagne gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung sehen, wie wichtig einerseits politische Bildung im Bereich des Umgangs mit sozialen Medien ist bzw. wäre und andererseits, daß die Ansätze der Task Force ‘Umgang mit rechtswidrigen Haßbotschaften im Internet’ grundsätzlich in die richtige Richtung zielen.“ Das liest sich wie die Bewerbung  für eine neu einzurichtende Planstelle.