© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Ende einer Idylle
Freiburg: Zwei Sexualmorde haben die grüne Vorzeigemetropole verändert
Michael Paulwitz

Wir sind schlicht nicht das süddeutsche Bullerbü, für das wir gerne gehalten werden“: So wollte der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon nach der Verhaftung des mutmaßlichen Sexualmörders die grüne Lebenslüge retten, auch dieser Mord sei wieder nur ein „Einzelfall“, der nichts mit illegaler Einwanderung und Kontrollverlust an den Grenzen zu tun habe. 

Bullerbü ist keine Projektion von außen, es steckt tief in den Köpfen von Salomons Klientel, die den früheren Landtagsfraktionschef zum ersten grünen Großstadt-Bürgermeister Deutschlands machte. Seit 15 Jahren führe die 230.000-Einwohner-Stadt im mildsonnigen Breisgau die Kriminalitätsstatistik des Bundeslandes an, räumt Salomon ein; so lange, wie er selbst an ihrer Spitze steht.

In den idyllischeren Winkeln der Stadt am Rande des Schwarzwalds, dort, wo die Bionade-Bourgeoise sich komfortabel eingerichtet hat, konnte man das lange ausblenden. Kriminalität, das fand in den Problemvierteln entlang der vierspurigen Bundesstraße statt oder in Langwasser im Norden, wo zuletzt jeder fünfte AfD wählte. 

Freiburg ist als erste Großstadt nach der kaum kontrollierten Schweizer Grenze ein Hauptanlaufpunkt für illegale Einwanderer. Der Stühlinger Kirchplatz hinter dem Bahnhof wurde zum Kriminalitätsbrennpunkt. Tagsüber ist bei Minusgraden kaum etwas los. Mit der Dämmerung kommen Gruppen junger Afrikaner; wer sich ihnen nähert, wird ungeniert angesprochen: Der „Stühlinger“ ist Freiburgs Hauptumschlagplatz für Drogen.

Drei Polizisten umringen einen hochgewachsenen Schwarzen in einer Nebengasse. Ratlos gestikulieren und telefonieren sie, während der Afrikaner grinst wie einer, der weiß, daß ihm nicht viel passieren kann. Die Verkäuferinnen im benachbarten Café scheren sich wenig um politische Korrektheit: „Man hat schon Angst, wenn man so einen Dunkelhäutigen sieht.“ 

Die resolute Bäckerin zeigt Pfefferspray und Taschenalarm: „Das habe ich von meinem Vater bekommen.“ Im Dunkeln allein nach Hause zu gehen kommt auch für ihre Kollegin nicht in Frage: „Ich lasse mich jetzt jeden Abend von meinem Mann abholen.“ Die verstärkten Streifen beeindrucken die schwarzen Dealer wenig, bemerkt ein Stammgast: „Immer wieder gibt es hier schwere Überfälle. Was wird bloß aus Deutschland?“

„Zustände wie in Frankreich darf es nicht geben“

Vor dem Audimax der Universität erinnert kein Aushang an den Mord, schon gar nicht bei den fast nur linken Hochschulgruppen. In den Köpfen der Studenten zwischen Hörsaal und Cafeteria ist das Verbrechen allgegenwärtig. „Das greift ans Herz“, sagt eine Erstsemester-Studentin. Die Mütter und Familien seien sehr besorgt. Keine mehr, die noch laufen geht oder abends alleine Rad fährt.

„Man hat gedacht, in einer Idylle zu leben, und nun diese Unsicherheit“, sagt eine Freiburgerin, deren Eltern aus Bosnien stammen. Die Politik müsse mehr für die Integration tun, ist sie sich mit ihrem Kommilitonen, einem Jurastudenten, einig. Ob die Politik viel ausrichten könne, wenn einer sich gar nicht integrieren wolle? Ratlosigkeit. „Zustände wie in Frankreich darf es nicht geben“, meint der angehende Jurist. Aber No-go-Areas habe man doch schon länger, wirft die Bosnierin ein: „In Stadtteile wie Haslach oder Weingarten geht man nicht.“

Die Altstadtkulisse ist malerisch wie eh und je. Doch in den Gesprächen auf dem Weihnachtsmarkt rund um das Münster brodelt es: Wut und Entsetzen bei den einen, trotzige Realitätsverweigerung und nachgeplapperte Beschwichtigungsformeln bei den anderen. 95 Prozent der Sexualstraftaten würden doch von Deutschen begangen, doziert eine Dame in Funktionskleidung. Als machte das etwas besser.

„Diese schreckliche Unsicherheit ist mit den Flüchtlingen gekommen“, spricht eine ältere Radfahrerin Klartext: „Das ist doch kein Wunder, wenn man so viele junge Männer ohne Ausbildung und Sprachkenntnisse hierherlockt. Man fühlt sich doch von den Politikern und Medien regelrecht verkackeiert“, empört sie sich, daß die „Tagesschau“ den Mord zunächst als „regionales Ereignis“ abtat.

Ein älterer Herr bedauert den Verlust an Freiheit. „Auf mich alten Esel geht ja keiner mehr los, aber ich habe Angst um meine Enkelin. Die ist dreizehn und wohnt im Vauban, aber mit dem Rad fährt sie jetzt nicht mehr zu uns hierher.“ Die Unsicherheit erreicht auch das ökologisch korrekte Vorzeigequartier im Süden der Stadt. „Nachts um halb drei fährt man doch nicht mehr allein hier unten“, schüttelt ein Rentner-Ehepaar den Kopf. „Warum ist sie nicht ein Stück weiter oben auf der hellen Hauptstraße gefahren? Sie hatte wohl ein zu idealistisches Bild von der Welt.“ Vielleicht ist das die tiefere Tragik am Tod der Maria L., die sich für Flüchtlingshilfe und Dritte-Welt-Initiativen engagierte: Das Bullerbü in den Köpfen ist ihr zum Verhängnis geworden.