© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

„Wir lächeln nach allen Seiten“
Kasachstan: Die schwierige Balance zwischen den Mächten
Michael Paulwitz

Kaum weniger enthusiastisch als sein Amtskollege Wladimir Putin gratulierte Kasachstans Staatsoberhaupt Nursultan Nasarbajew dem Sieger der US-Präsidentenwahlen, lobte Donald Trump als „wichtige Stütze bei der Aufrechterhaltung von Stabilität und Sicherheit in der Welt“ und lud den designierten US-Präsidenten sogleich in sein Land ein. Daß Trump den Ausgleich mit Rußland suchen und sein Hauptaugenmerk auf den Rivalen China richten will, wird in der größten zentralasiatischen Republik aufmerksam verfolgt.

Ein Vierteljahrhundert alt werden die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern in diesem Jahr, so alt wie die Republik Kasachstan selbst, die am 16. Dezember ihren 25. Unabhängigkeitstag feiert. Ebenso lange steht Nasarbajew an der Spitze des Landes, das er seit der Loslösung von der Sowjetunion mit harter Hand regiert und geprägt hat.

Nasarbajew beschwört Primat der Ökonomie 

Rohstoffreichtum – neben Erdöl und -gas die fünftgrößten Uranvorkommen der Welt, Steinkohle, Eisenerz und Seltene Erden – und die schiere Landmasse bestimmen die schwierige  Lage des Landes zwischen Rußland, mit dem es 7.000 Kilometer Landgrenze teilt, und dem volkreichen, expansiven China. 

Letzteres ist als Partner so unheimlich wie unentbehrlich. Kasachstan forciert den Rohstoffexport nach China und unterstützt Pekings geopolitisches Jahrhundertprojekt „Neue Seidenstraße“, das direkte Landverkehrswege nach Europa eröffnen soll, sieht aber auch die Gefahr eines Einfallstores für ökonomische Landnahme. Eine im Februar geplante Landreform, die Ausländern Pachtbesitz über 25 Jahre an kasachischem Boden ermöglichen sollte, wurde nach Massenprotesten wieder eingefroren.

„Wir lächeln in alle Richtungen“, charakterisiert Außenminister Idrissow den geopolitischen Balanceakt seines Landes. Das Bestreben, als Vermittler und Brücke zwischen den rivalisierenden großen Nachbarn und der EU eigenständiges Profil auf der internationalen Bühne zu gewinnen, ist eine Konstante in der Politik Nasarbajews. Um diese Politik für die Zukunft festzuschreiben, hat er in den vergangenen Monaten eine Vielzahl geopolitischer Initiativen angestoßen. 

Auf regionaler Ebene nutzt Kasachstan seine Rohstoffmacht, um die Zusammenarbeit und Stabilität der zentralasiatischen Republiken voranzutreiben. Mit dem benachbarten Kirgistan, das den Oberlauf des Syr-Darja kontrolliert, dessen Übernutzung schon zu Sowjetzeiten den Aralsee fast austrocknen ließ, wurde ein Austausch von Wasser- und Energielieferungen vereinbart. 

In der von Putin vorangetriebenen Eurasischen Wirtschaftsunion betont Nasarbajew unermüdlich den Primat der Ökonomie. Gleichzeitig treibt Kasach-stan den Ausbau der 26 Staaten umfas-senden „Konferenz über vertrauensbil-dende Maßnahmen in Asien“ zu einer „Organisation für Sicherheit und Ent-wicklung in Asien“ analog zur OSZE als weiteres Element einer globalen Sicherheitsarchitektur voran. „G-Global“, eine vor fünf Jahren ins Leben gerufene internationale Denkfabrik, vereinigt nach eigenen Angaben 30.000 Experten aus 150 Ländern auf einer internetbasierten Kommunikationsplattform. Und mit dem Vorschlag einer übernationalen „Weltwährung“ auf gleichberechtigter Basis der Teilnehmer hat Nasarbajew sich zudem mit einem eigenen Beitrag in die Debatte um eine Ablösung des Dollar als globaler Leitwährung eingeschaltet.

Im Januar 2017 wird Kasachstan den lang angestrebten nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat einnehmen. Sein Land werde sich dort „vor allem dem Kampf gegen den internationalen Terror“ widmen, betont Vize-Außenminister Roman Wassilenko. Das Wort „Terroranschlag“ kannte man in Kasachstan trotz der geographischen Nähe zu Afghanistan lange Zeit nur von Nachrichten aus fernen Ländern. Nach einem im Juni verübten Attentat in der Ölstadt Aktobe griffen die Behörden schnell und rasch durch, um Unsicherheit unter ausländischen Investoren gar nicht erst aufkommen zu lassen. Islamismus ist unter Kasachstans Muslimen, die sich in Umfragen stets deutlich säkularer zeigen als in den Nachbarländern, ein isoliertes Phänomen. 

Deutschland ist ein umworbener Partner

Gleichwohl wurden die Gesetze gegen kasachische Staatsbürger, die sich dem IS in Syrien anschließen, verschärft und zugleich neue Sozialprogramme aufgelegt. Rußland-Sanktionen, Ölpreisverfall und Weltfinanzkrise haben auch die kasachische Wirtschaft beeinträchtigt; Inflation und die vom Rubelverfall erzwungene Abwertung der heimischen Währung Tenge zehren an der Kaufkraft der erst entstehenden Mittelschicht. 

Dank beträchtlicher Devisenreserven, Rücklagen im staatlichen Erdöl-Fonds und niedriger Staatsverschuldung konnte die Führung mit Stützungsmaßnahmen gegensteuern. Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verbindet sich auch in der kasachischen Hauptstadt Astana die Hoffnung auf ein baldiges Ende der  Rußland-Sanktionen.

Schon im kommenden Jahr soll Ka-sachstans Wirtschaft wieder wachsen. Die Regierung setzt dabei nicht nur auf die Erschließung neuer Erdölvorkommen, sondern auch verstärkt auf Tourismus und westliche Investoren.

Rund eine Milliarde Dollar wurden investiert, um als Expo-Gelände einen kompletten neuen Stadtteil entstehen zu lassen. Nach der Weltausstellung soll dort das „Internationale Finanzzentrum Astana“ seine Arbeit aufnehmen, in dem der kasachische Börsenhandel und die Verwaltung der Öl- und Staatsfonds konzentriert wird. Der Sonderbeauftragte Kairat Kelimbetow sieht das Zentrum als „Finanzhafen“ der Eurasischen Wirtschaftsregion. Während man in Moskau über die „Offshore-Zone“ argwöhnt, will Kasachstan damit als „Dubai Zentralasiens“ auch seine Eigenständigkeit im Rahmen des chinesischen „Seidenstraßen“-Projekts wahren.

Wie das Vorbild am Golf hat auch Kasachstan seine Aufstellung im Nach-Erdöl-Zeitalter im Blick. Die Expo 2017 steht unter dem Motto „Zukunftsenergien“. 50 Prozent seines Energiebedarfs will der Erdöl-Großexporteur künftig aus erneuerbaren Energiequellen und Kernkraft decken. In seiner Heimat Shymkent im Süden des Landes gebe es 320 Sonnentage im Jahr, sagt Vize-Außenminister Roman Wassilenko, die dünnbesiedelten Steppen im Landesinneren hätten gute Windkraftpotentiale.

Deutschland ist nicht nur wegen seiner Erfahrungen mit der „Energiewende“ ein umworbener Partner. Auch die 2012 auf der Basis „Bodenschätze gegen Hochtechnologie“ geschlossene deutsch-kasachische „Rohstoffpartnerschaft“ wirkt. Im Herbst 2015 erhielt die Aurum Deutschland GmbH attraktive Schürfrechte für Gold und Kupfer und darf exklusiv neue Lagerstätten für Seltene Erden explorieren – sehr zum Ärger Pekings, das seine Exporte praktisch auf Null gedrosselt hat.

Foto: Kasachstans Hauptstadt Astana bei Nacht / Nursultan Nasarbajew (r.),: Nach der Expo 2017 soll das „Internationale Finanzzentrum Astana“ seine Arbeit aufnehmen