© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Tod Castros hat zur Entstehung einer merkwürdigen Trauergemeinde geführt. Da sind – erwartbar – die Linken aller Schattierungen (Oskar Lafontaine: „Adios, Commandante!“), dann aber auch der Vatikan, dann noch die, die in ihm einfach einen ganzen Kerl sehen, einen echten Steher im Kampf gegen das Reich des Bösen. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums verknüpft sich mit dieser Einschätzung regelmäßig die Bewunderung für einen, der wenigstens Ernst gemacht hat mit seinen Überzeugungen. In dieser Perspektive kommt weder das wirtschaftliche Desaster zur Geltung, das der kubanische Sozialismus angerichtet hat, noch die Tatsache, daß zehn Prozent der Bevölkerung die Insel verlassen haben, um dem „großen Gefängnis, von Wasser umgeben“ (die Tochter Juanita Castro) zu entgehen oder daß dem Terror Castros mindestens fünftausend Menschen zum Opfer gefallen sind. Aber was ist mit der Tatsache, daß der „Maximo Lider“ seine letzte Lebenszeit in einem abgeschotteten, luxuriösen Resort verbrachte und das Magazin Forbes sein Privatvermögen schon vor zehn Jahren auf neunhundert Millionen US-Dollar geschätzt hat?

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Bekannt ist, daß durch Prinz Albert unsere Weihnachtsbräuche ihren Weg nach England fanden, vor allem die Sitte, einen Christbaum aufzustellen. Aber wer hätte erwartet, daß auch Lenin eine entsprechende Neigung hatte und noch nach dem Oktoberputsch die Gelegenheit ergriff, um als guter „Opa“ für seine kindliche Verwandtschaft eine Tanne besorgen zu lassen.

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Enkulturation: Die Blondheit aller Guten – Gott, Jesus, Adam, Eva, Mose, König David – auf den Deckenbildern des Dithmarscher „Doms“ in Meldorf, das „Westfälische“ Abendmahl im großen Fenster der Soester Wiesenkirche mit Pumpernickel, Schinken, Bier und Schnaps.

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Gespräch mit einem Unternehmer über seine Geschäftskontakte in China. „Wissen Sie“, meint er, „meine Partner hat zuerst die Kleinteiligkeit Europas gestört. Die können nicht begreifen, in ihrem Riesenland, daß Europa kein einheitliches Ganzes ist. Die brauchen Zeit, um zu verstehen, daß es bei den einzelnen Ländern nicht um irgendwelche Verwaltungsbezirke geht, die man genausogut zusammenlegen könnte. Aber da gibt es Bewegung. Einer der Leute, mit denen ich in China zusammengekommen bin, meinte, er wisse die Unterschiede auf dem alten Kontinent mittlerweile zu nutzen: Er habe es mit den Engländern probiert, aber die überschätzten sich, dann mit den Franzosen und den Italienern, aber die seien unzuverlässig, den Niederländern traue er nicht, die Skandinavier hätten nicht die Kapazitäten. Es blieben nur die Deutschen. Mit denen komme man auch wegen der Sache mit dem ‘Gesichtsverlust’ besser zurecht. Denn es gebe nur selten die Notwendigkeit, etwas vortäuschen zu müssen.“

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Doch, es gibt dumme Fragen. Zum Beispiel: Wie können Opfer zu Tätern werden?

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Bildungsbericht XCVI in loser Folge: Auf die Ergebnisse der TIMSS-Studie, die den deutschen Grundschülern einen weiteren Verfall ihrer Grundkompetenzen nachweist, reagiert die Politik mit der Forderung, man solle nun nicht mehr nur die Minder-, sondern auch die Begabten fördern. Das wird ausgehen wie jeder andere Vorschlag dieser Art. Denn die systematische Zerstörung des Leistungsprinzips in den letzten Jahren ist selbstverständlich nicht dadurch zu beheben, daß man die Unfähigkeit der einen kaschiert und den anderen ein bißchen Zucker gibt, während die breite Mitte, auf die es tatsächlich ankommt und die man mit Bildung und Erziehung vorwärtsbringen könnte, sehen mag, wo sie bleibt.

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Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, daß eine muslimische Erzieherin das Recht hat, im Dienst ein Kopftuch zu tragen, und die andere, daß die Störung der Feiertagsruhe am Karfreitag in Zukunft als „Heidenspaß“ erlaubt sei, zeigt, wohin man mit dem ganzen Gerede über die „Wertfreiheit“ kommt, die es angeblich braucht, um die „Werte“ des Grundgesetzes zu verteidigen.

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Vorbildlich: Manon Kernoa, sechzehnjährige Tochter eines Bauern aus dem kleinen Landudec in der Bretagne, hat mit einer Eloge auf ihren Vater und den Wert seiner Arbeit viel Aufmerksamkeit erregt. Ihre Kampagne steht unter dem Motto: „Rettet den französischen Bauern. – Eßt französisch!“

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Natürlich erinnert die Behandlung der Jungen Rechten heute an die der Jungen Linken damals, Mitte  und Ende der Sechziger. Woraus man nicht nur den Schluß ziehen kann, daß diejenigen, die so gern die Moral pachten, keine besseren Menschen sind, sondern auch, daß Macht mißbraucht, wer die Gelegenheit dazu bekommt. An einem Punkt ist die Differenz aber manifest: Den Jungalternativen oder den Identitären kann man schlecht sagen „Geht doch nach drüben!“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 6. Januar in der JF-Ausgabe 2/17.