© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Berlin bläst zur Jagd auf „Enten“
Debatte um Strafen für „Fake News“: Koalitionspolitiker wollen nach der Weihnachtspause Gesetz beschließen / Kritik von Opposition und Medien
MichaelPaulwitz

Die GroKo bläst zur Attacke: „Fake News“, absichtlich verbreitete Falschmeldungen im Internet und den sozialen Netzwerken, sollen hart bestraft werden. Führende Politiker von Union und SPD liefern sich einen Überbietungswettkampf an Forderungen und drastischen Maßnahmen; mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren drohte zuletzt Bundesjustizminister Heiko Maas jedem, der „versucht, mit solchen Lügen politische Debatten zu manipulieren“. 

Gleich nach der Weihnachtspause will die Große Koalition ein entsprechendes Gesetzesvorhaben angehen, damit es noch vor dem Bundestagswahlkampf 2017 wirksam werden kann. Der Plan für eine „härtere Gangart“ gegenüber Facebook und anderen Netzplattformen sei bereits in der Koalition abgestimmt, kündigte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann an, der einen eigens neu zu schaffenden Straftatbestand noch ablehnt.

„Marktbeherrschende Plattformen wie Facebook“ sollten gesetzlich verpflichtet werden, „auf deutschem Boden eine an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden erreichbare Rechtschutzstelle einzurichten“, fordert Oppermann. Wenn Facebook nach entsprechender Prüfung die beanstandete Meldung nicht unverzüglich binnen 24 Stunden lösche, müsse die Plattform „mit empfindlichen Bußgeldern bis zu 500.000 Euro rechnen“. Der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) übertrumpfte seine Parteifreunde noch mit dem Ruf nach einer „europäischen Gesetzgebung“.

Heiko Maas und die SPD erscheinen in diesem Feldzug allerdings als Getriebene der Union. Deren innenpolitischer Sprecher im Bundestag Stephan Mayer (CSU) hatte schon in der Woche zuvor eine strafrechtliche Verfolgung für das Verbreiten von Falschmeldungen im Internet gefordert. Maas hatte dem zunächst widersprochen; man brauche keine „Wahrheitskommission“ in Deutschland. Fraktionsvize Stephan Harbarth (CDU) bezeichnete gegenüber dem Handelsblatt den schließlich doch erfolgten Vorstoß des Justizministers als „zu spät“ und zu kurz gegriffen. Maas habe zu lange auf eine „einvernehmliche Lösung mit den Betreibern von sozialen Netzwerken“ gesetzt, die Schaffung eines „eigenständigen Straftatbestands“ sei erforderlich. Mayer hatte unter Bezug auf die angebliche Verzerrung des US-Präsidentschaftswahlkampfes durch „Fake News“ eine „russische Beeinflussung von Nachrichten und Informationskanälen“ unter anderem durch „Hackerangriffe“ auf Parteien und „bewußte Desinformationskampagnen“ an die Wand gemalt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, warnte gar vor dem „Feind im Netz“ und einer „Gefährdung der Demokratie“. Der russische Präsident Wladimir Putin bevorzuge eine rot-rot-grüne Regierung und wolle Merkel gestürzt sehen, weil sie in der Ukraine-Frage zu „kritisch“ sei.

Bei der Linkspartei hält das mancher für „absurd“. Die Rußland-Warnungen sollten „von innenpolitischen Problemen ablenken“, mutmaßt deren Vertreter im NSA-Ausschuß, André Hahn. Das Portal netzpolitik.org wiederum fragt, ob die beleglosen Warnungen des Bundesverfassungsschutzes vor aus Moskau gesteuerten „Fake News“ nicht selbst solche seien.In den Medien stoßen die Gesetzespläne der Großen Koalition teilweise auf erheblichen Widerspruch. Die Südwest-Presse attestiert CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, einer Befürworterin der „Fake News“-Strafbarkeit, „Orwellsche Phantasien“ von einem „Wahrheitsministerium“. 

Die zur Handelsblatt-Gruppe gehörende Branchen-Plattform Meedia fragt, ob die „Facebook-Phobie der etablierten Parteien“ vor allem damit zu tun habe, daß die AfD in den sozialen Medien erfolgreicher agiere und bei Facebook mehr Anhänger habe als SPD und CDU zusammen: „Mit Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und Selbstzensur sorgen die etablierten Parteien nicht zuletzt auch dafür, daß ihnen nicht genehme Inhalte in Digitalmedien zurückgedrängt werden.“