© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Reaganomics gewürzt mit Le-Pen-Zöllen
Handelspolitik: Donald Trump will die Globalisierung zurückdrehen – mit Folgen auch für Deutschland
Albrecht Rothacher

Am 19. Dezember wurde Donald Trump vom Wahlmännerkollegium zum 45. US-Präsidenten gewählt. Nach der Amtseinführung am 20. Januar ist der Republikaner – nach Herbert Hoover (1929 bis 1933) und Dwight D. Eisenhower (1953 bis 1961) – dann der dritte Präsident im Weißen Haus mit deutschen Vorfahren. Aber daraus eine emotionale Special Relationship abzuleiten ist illusorisch: Man erinnere sich der politisch-medialen Verbalattacken, die Trump aus Deutschland entgegenschallen.

Dabei wird vergessen, daß die USA mit 114 Milliarden Euro der wichtigste Absatzmarkt deutscher Exporteure sind. 2015 gingen 9,5 Prozent der Gesamtausfuhren von 1.184 Milliarden Euro in die umsatzstärkste Volkswirtschaft der Welt. Die mit großer Rücksichtnahme behandelte Volksrepublik China lag mit 71,2 Milliarden Euro (5,9 Prozent) nur auf Exportrang fünf. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt vom Export ab. Daher ist es nicht gleichgültig, welche Wirtschaftspolitik die Trump-Regierung macht.

Unternehmenssteuern von 35 auf 15 Prozent senken

Alles deutet darauf hin, daß sie eine Mischung von Ronald Reagans Reflationierungspolitik – Einkommens- und Unternehmenssteuerkürzungen verbunden mit defizitfinanzierten Infrastrukturprogrammen – und Marine Le Pens Importprotektion werden wird. Der 40. Präsident hatte mit seiner Reaganomics die Inflation angeheizt und die Zinsen in lichte Höhen geführt, aber gleichzeitig die US-Wirtschaft angekurbelt. Danach kam der Schwarze Montag vom 19. Oktober 1987. Die überhöhten Aktienkurse brachen ein. Erst 1989 hatte sich der Dow-Jones-Börsenindex wieder erholt.

Der Republikaner steigerte die US-Staatsverschuldung auf 2,7 Billionen Dollar, aber mit seiner Hochrüstung drückte der in Deutschland anfangs belächelte Ex-Schauspieler das Sowjetreich an die Wand, ohne daß ein Schuß abgefeuert werden mußte. Jetzt will Trump mit einem 1.000-Milliarden-Dollar-Programm die verrottende öffentliche Infrastruktur sanieren und alle Hindernisse bei der Erdölförderung beseitigen. Der künftige Finanzminister Steven Mnuchin kündigte eine Kürzung der Unternehmenssteuern von 35 auf 15 Prozent, eine Einkommensteuersenkung und Vereinfachung des Steuerrechts an. So soll die bislang überreglementierte US-Wirtschaft statt um zwei künftig um drei bis vier Prozent wachsen.

Noch schwieriger dürfte der Trump-Plan umzusetzen sein, die geschätzt zwei Billionen Dollar an Unternehmensgewinnen wieder in die USA zurückzuholen. Dabei dürfte ein Satz von 15 Prozent immer noch zu hoch sein, damit US-Firmen ihre im Ausland trickreich „geparkten“ – und dort minimal besteuerten – Gelder freiwillig zurückzuholen. Die Diskussion um den „Steuerrückkehrnachlaß“ dürfte heftig ausfallen.

In Trumps industrieller Revolution sollen gut bezahlte Industriearbeitsplätze zurück in die USA verlagert – oder gar nicht erst verlagert werden, wie etwa beim Klimaanlagenbauer Carrier in Indiana, dem Heimatstaat von Trumps Vize Mike Pence – und so Vollbeschäftigung erreicht werden. Handelsminister soll der „König der Konkurse“, der Unternehmer Wilbur Ross, werden. Der 79jährige Milliardär hat sein Vermögen gemacht, indem er vom Preisdruck der Niedriglohnländer bankrottierte Industrien, wie Kohlegruben, Stahlhütten, Textil- und Kfz-Teilefertiger billig aufkaufte, sanierte und nach der Rettung Tausender Arbeitsplätze teuer verkaufte.

Durch hohe Importzölle und Aufkündigung aller Freihandelsabkommen (JF 49/16) sollen Fabriken zurückkehren. Letzteres entspricht auch den Ideen des Front National. FN-Chefin Le Pen träumt von den Zeiten, als Frankreich mit seinen Kolonien noch weitgehend autark war. Alle verzehrten französischen Käse und Wein und fuhren Citroëns, Peugeots oder Renaults, die hundertprozentig aus französischen Teilen bestanden. Hohe Zollgrenzen, der Franc und der EU-Austritt sollen diese Idylle wiederherstellen. Der Sozialist François Mitterrand hatte 1981 vorgeführt, was passiert, wenn ein mittlerweile international verflochtenes Land allein reflationiert: Es saugte in erster Linie Importe an, vor allem aus Deutschland.

Droht Frontalangriff auf Mexiko und China?

Trump will schnell handeln, bevor seine Infrastrukturprogramme mittelfristig Wirkung zeigen. Als Sofortmaßnahmen sollen Freihandelsabkommen storniert werden: das transpazifische TPP, das transatlantische TTIP und der seit 20 Jahren bestehende Nafta-Vertrag mit Mexiko und Kanada. Trump wird zuerst Maximalforderungen stellen und dann erst mit Zöllen zuschlagen. Die werden es aber in sich haben müssen, um allein die Währungsdisparitäten ausgleichen zu können: Seit 2011 ist der US-Dollar um 40 Prozent gestiegen, und seit Trumps Wahl ist der mexikanische Peso um elf und der chinesische Renminbi um drei Prozent gefallen.

Der mexikanische Mindestlohn liegt bei 3,30 Dollar, der in den USA bei 7,25 Dollar. Um das auszugleichen müßte ein Zollsatz dreistellig sein. Mexiko und Kanada, die bei ihren Exporten zu 80 bzw. 75 Prozent vom US-Markt abhängen, können sich aber kaum wehren. Auch für Audi, BMW oder VW, die in Mexiko billig produzieren und teuer in den USA verkaufen wollen, dürfte dies unangenehm werden. China aber hat bei allen Exportbehinderungen bislang äußerst aggressiv reagiert. Die USA exportieren Hochtechnologie-, Rüstungs- und Agrargüter. So kämen Boeing und Apple-Geräte in die Pekinger Feuerlinie, was der chinesischen Industriepolitik zupaß käme: Sie wollen solche Produkte künftig selbst herstellen. Und bei einem amerikanisch-chinesischen Handelskrieg würden die überschüssigen Exporte wohl verbilligt nach Europa fließen.

25 Millionen neu-alte Arbeitsplätze will Trump durch die Rückkehr der Fabriken schaffen. Fünf Millionen mexikanische Stellen hängen vom US-Markt ab. 2,4 Millionen sollen chinesische Importe vernichtet haben. Doch noch mehr als das haben Automatisierung und Digitalisierung die Arbeiter- und Fachverkäuferstellen vernichtet. Moderne Fabriken und Lagerhallen sind gespenstisch menschenleer. Jedes vierte US-Einkaufszentrum ist heute eine verlassene „dead mall“, weil die Auswahl im Internet billiger und größer ist. Wie viele Bank- und Postfilialen, Reisebüros und Buchhändler gibt es noch? Einfuhrhürden bringen diese Arbeitsplätze nicht zurück, aber sie treiben die Preise von Importgütern in ungeahnte Höhen – mit schmerzlichen Folgen für die „working poor“ unter Trumps Wählern.

Für Deutschland hat Trumps künftige Politik zunächst indirekte Folgen: Der steigende Dollar könnte stark verschuldete Schwellenländer wie die Türkei, wo deutsche Exporte für 36,8 Milliarden Euro hingehen, oder Brasilien (18,4 Milliarden) in Bedrängnis bringen. Dazu wird Trump – wie von Japan und Südkorea – von Deutschland höhere Rüstungsanstrengungen verlangen – und zwar nicht für gendergerechte Kasernen, sondern für einsatzfähige Panzer oder Fregatten. Vor allem aber wird der Marktzugang zu unserem wichtigsten Exportmarkt schwieriger werden. Die politische Klasse wird dann spüren, daß das Steuergeld nicht aus dem Geldautomaten kommt, sondern von der Exportwirtschaft erst erarbeitet werden muß.