© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Zeitschriftenkritik: Aufklärung und Kritik
Von der Wirklichkeit entfernt
Werner Olles

Die Erkenntnispotenz des modernen Menschen, der sich selbstbewußt für aufgeklärt hält, ist ungemein verengt, eingeschränkt und nur noch auf zeitliche Dinge fixiert, für die Erfassung geistiger Realitäten findet er keinen Zugang mehr. Man kann dies als eine Art Verblödung bezeichnen, die verschiedene Ursachen hat. Alle Ideologien, über die sich heute kritische Geister Gedanken machen, beruhen nämlich auf einem Pseudoglauben, nicht aber, wie Karl Marx meinte, der selbst einem Pseudoglauben verfallen war, auf einem „falschen Bewußtsein“, was übrigens ein philosophischer Unbegriff ist, eine platte Chimäre.

In ihrer „Dialektik der Aufklärung“ haben Horkheimer und Adorno dies genau beschrieben: „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen.“

Daß dies gründlich mißlungen ist, zeigt nicht nur der Blick in die Tageszeitung, sondern das Schicksal der meisten Aufklärer, die von resignativ-heroischen Bewahrern der Kritischen Theorie zu verhalten-optimistischen Verteidigern der sozialstaatlichen Massendemokratien degenerierten. Während Adorno wußte, daß Aufklärung notwendig in Herrschaft verstrickt ist, sieht sein Schüler Habermas darin nur eine „Fehlentwicklung“ und mißversteht die Erkennung des Umschlagens von Aufklärung in Barbarei als „Pessimismus“.

Die von der Gesellschaft für kritische Philosophie dreimal jährlich herausgegebene Mitgliederzeitschrift Aufklärung und Kritik (Untertitel: Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie) hält sich aus derlei Debatten geschickt heraus. Das gelingt aber nicht immer, wie der ziemlich denunziatorische und an Diffamierung grenzende Beitrag des Kultur- und Religionsphilosophen Anton Grabner-Haider über „Heidegger, ein philosophischer Mystiker?“ zeigt, der einmal mehr Altbekanntes und zum größten Teil Widerlegtes wiederkäut. Interessant ist hingegen der Aufsatz des Sozialphilosophen Klaus Peter Müller, der sich mit der „Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas“ auseinandersetzt und zu ähnlichen Überlegungen kommt wie dessen konservative Kritiker: Danach hat die theoretische Idealisierung der Lebenswelt bei Habermas Züge einer Wirklichkeitsferne angenommen, die mit echtem politisch-sozialen Geschehen nichts mehr zu tun hat. Ausgezeichnet ist auch der Beitrag von Hans Albert „Über die Auffassungen des Generals Carl von Clausewitz“, der den Begründer des ersten Rechtsstaats Europas würdigt. Weitere Beiträge befassen sich mit dem „Säkularismus in den USA“, dem „Systemdenken in der Philosophie“ und den „Gefährdungen und Forderungen politischer Freiheit in unserer Zeit“.

Kontakt: Gesellschaft für kritische Philosophie, c/o Helmut Walther, Obere Schmiedgasse 38, 90403 Nürnberg. Das Jahresabo kostet 45 Euro. 

 www.gkpn.de