© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

„Eklig ist es in der Dunkelheit“
Bedrängt, angemacht, verfolgt: Zwei junge Frauen berichten aus dem Großstadtdschungel Berlin von Erfahrungen, die Männern verborgen bleiben
Martina Meckelein

Sexuelle Beleidigungen und Pöbeleien. Die Angst vor der Dunkelheit. Die Organisierung eines Heimwegs – von der Arbeit oder von einem Kneipenbesuch. Der ganz normale tägliche Wahnsinn, dem Frauen in einer deutschen Großstadt ausgesetzt sind – er findet keinen Niederschlag in der Polizeilichen Kriminalstatistik. In der JF schildern zwei junge Berlinerinnen, wie sie ihr Leben einschränken müssen, um ihre Haut zu retten – jeden Tag!

Verena ist 25, Laura 17 Jahre alt. Die Ältere ist Hotelfachangestellte, die Jüngere auszubildende Bürofach­angestellte im ersten Lehrjahr. Sie tragen Jeans, dicke Daunenjacken mit Kapuze. Nicht, weil es der Mode entspricht, sondern weil sie unter den Kapuzen ihre blonden Haare verstecken können.

„Wenn du blond bist, wirst du sofort angemacht“, sagt Verena. „Ich habe mir meine Haare schon mal dunkelbraun gefärbt, da war es besser. Aber die Farbe gefällt mir nicht so gut, ich bin nun mal naturblond.“

Verena meidet grundsätzlich die U6, U7 und U8. „Mit denen fährt ein Großteil der, na ich nenne sie mal ‘Neuzugezogenen’. Da sitzt du dann als Frau alleine auf einer Viererbank. Dann kommt da so eine Gruppe von jungen Männern rein. Manchmal sind es sieben Typen, oft auch nur zwei bis drei. Die setzen sich sofort zu dir. Dann reden die auf arabisch oder türkisch oder was weiß ich, was die für eine Sprache sprechen und starren dich an und grinsen. Du weißt ganz genau, daß die über dich sprechen. Du stehst auf, willst dich woanders hinsetzen – und dann stehen die auch auf und versperren dir den Weg. Irgendeiner sagt dann: ‘Na, du geile Schlampe.’ Oder: ‘Sollen wir dich begleiten?’ Wenn die nur reden, hast du Glück, manchmal fassen die dich auch an.“ Laura nickt und sagt: „Und die anderen Fahrgäste kriegen das mit, aber dir hilft keiner!“

Verena: „Kann man auch verstehen, die haben selber Angst. Wenn einer dann doch hinschaut, pöbeln die Typen sie gleich an: ‘Was guckst du? Hast du ein Problem?’ Die Leute wissen doch genau, daß die zuschlagen, jedenfalls rechnen sie damit. Und schon schauen sie betreten zur Seite oder auf den Boden.“

„Eklig ist es in der Dunkelheit“, sagt Laura. „Ich stehe immer schon früh auf, warte an der Waggontür, um schnell rausspringen zu können. Dann siehst du in der sich spiegelnden Fensterscheibe, wie so ein Typ hinter dir steht und Rammelbewegungen vollführt.“ „Oder einer holt aus und tut so, als ob er dir gleich mit voller Wucht auf den Hintern schlägt“, ergänzt Verena.

Irgendeiner sagt dann:    „Na, du geile Schlampe“

Laura hat schon zweimal erleben müssen, wie Männer sie aus der Straßenbahn heraus verfolgt haben. „Ich wohne in Pankow, kam von der Arbeit. Die sind hinter mir raus. Es läuft immer gleich ab. Erst rennt einer neben dir her, dann fängst du an, schneller zu gehen, dann holt der Rest der Gruppe dich ein und umzingelt dich.“ Sie hält in der linken Jackentasche immer ihr Pfefferspray parat, rechts umklammert sie ihr Handy. „Das hole ich dann raus und tue so, als ob ich mit jemandem telefoniere, der angeblich auf mich am Ausgang wartet. Bisher hat es geklappt.“

„Ich winke manchmal irgendwelchen wildfremden Männern am Ende des Bahnsteigs zu und gehe auf die zielstrebig los, dann geben die Typen auch auf“, rät Verena.

Überlebenstricks für Benutzerinnen des öffentlichen Personennahverkehrs? „Sich genau die Wagen anschauen“, rät Verena. „Sitzen da viele oder wenige drin. Sind es alte Wagons, oder die neuen Züge, bei denen du von vorne nach hinten durchgehen kannst.“

„Klar ist aber auch, daß du schon viel eher die Gefahr wittern mußt“, sagt Verena. „Also wenn ich oben an so einem U-Bahneingang stehe und mir von drinnen Geschrei entgegenschallt, gehe ich da nicht rein. Oder wenn die Flaschen werfen oder mit Dosen kicken. Da gehe ich lieber oben die ganze Station ab und versuche es von einem anderen Eingang. Oder ich nehme gleich den Bus.“

Überleben in der Großstadt. Für Verena ist die Alternative das Taxi. „Aber angenehm ist das auch nicht. Erst mal stehst du am Bahnhof, willst noch eine rauchen. Da kommen die Bettler. Dann steigst du in ein Taxi, und da sitzt ein junger Ausländer drin – und baggert dich an. Heutzutage merke ich mir die Taxinummer, bevor ich einsteige.“

Und die Polizei? Warum rufen sie die nicht an? „Bringt doch nichts. Bis die kommen, bist du entweder vergewaltigt, oder die Typen sind weg“, sagt Verena – und Laura nickt zustimmend.

Das Interview findet sich in voller Länge unter: www.jungefreiheit.de

 

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