© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Ein Feuer in der Türkei „entfachen“
Istanbul: Trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen erschüttert erneut ein blutiger Anschlag die Metropole
Marc Zoellner

Ganz Istanbul glich einer Festung. Über 17.000 schwer bewaffnete Polizisten hatte das türkische Innenministerium in den Einsatz geschickt, um die von Touristen stark frequentierte Innenstadt, die Flughäfen und Bahnhöfe, Brücken, Hotels und Kneipenquartiere zu sichern und vor potentiellen Terroristen hermetisch abzuriegeln. Zu frisch waren noch die Erinnerungen an den gerade einmal drei Wochen zurückliegenden Doppelanschlag vor dem Vodafone-Stadion im Istanbuler Stadtteil Besiktas mit 45 Toten; der letzte in einer langen Reihe blutiger Terrorakte islamistischer und linksextremer Organisationen, welche die Türkei im vergangenen Jahr erschütterte und allein in der Bosporusmetropole rund 120 Todesopfer forderte.

Trotz aller Vorkehrungen schlug der Terror auch in der Neujahrsnacht wieder zu: ein mit einem Schnellfeuergewehr und mehreren Handgranaten bewaffneter Maskierter stürmte den Eingang des besonders bei Ausländern beliebten Nachtclubs „Reina“, schoß wahllos in die Menge und entkam im anschließenden Chaos. Eine erste Bilanz zählte 39 Opfer des Anschlags – darunter auch zwei junge Männer aus Bayern.

Blutige Antwort auf Ankaras Vorgehen in Syrien

Zwar ließ Ankara zu Beginn noch offen, wen es verdächtigte. Bei Razzien  wurden jedoch sogleich acht dem Islamischen Staat nahestehende Istanbuler von Spezialkräften der Polizei verhaftet. Frühzeitig hatten Gerüchte die Runde gemacht, der IS würde hinter diesem Terrorakt stecken und der Täter aus Kirgistan, Usbekistan oder Xinjiang stammen. Auch eine wahrscheinliche Verbindung zu jener Terrorzelle, die im Juni 2016 am Istanbuler Atatürk-Flughafen fast 50 Menschen ermordete, wurde von den  Behörden gemutmaßt.

Tatsächlich bekannten sich die Radikalislamisten schon am Montag, kurz nachdem die kurdische PKK jegliche Verantwortung bestritten hatte, zu diesem Attentat. „In Fortführung der gesegneten Einsätze, welche der IS gegen die Türkei ausgeführt hatte, griff ein Soldat des tapferen Kalifats einen der bekanntesten Nachtclubs an, in welchem die Christen ihren Feiertag zelebrierten“, verkündete ein Sprecher der Terrorgruppe in einem von den Dschihadisten häufig genutzten Kanal des Online-Dienstes Telegram.org, um sogleich auf den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien zu verweisen: „Die abtrünnige türkische Regierung sollte wissen, daß das von Kampfflugzeugen und Kanonen vergossene Blut der Muslime mit Gottes Erlaubnis ein Feuer in ihrem eigenen Land entfachen wird.“

Seit August 2016 ist Ankara mit seiner Operation „Schutzschild Euphrat“, die  sich sowohl gegen den IS als auch gegen der PKK nahestehende Kurdengruppen richtet, aktiv am syrischen Konflikt beteiligt. IS-Anführer al-Baghdadi rief daraufhin zu Anschlägen in der Türkei auf; eine Taktik, welche nicht nur demoralisierend auf die türkische Bevölkerung wirken, sondern gleichzeitig auch neue Fronten  schaffen soll, um jene in Syrien zu entlasten: Gerade nahe der umkämpften Stadt al-Bab geraten die IS-Milizionäre in die Defensive. Erst zum Jahreswechsel reklamierte die türkische Armee, seit Beginn ihrer Offensive rund 1.200 Radikalislamisten eliminiert zu haben.