© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Grüße aus Paris
Renitent, brav oder blasiert
Albrecht Rothacher

Bei meinem Gang ins Ministerium komme ich allmorgendlich am Seineufer am Besuchereingang des Palais Bourbon vorbei – einem nachgeahmten griechischen Tempel, der seit 1795 als Parlament dient. 

Stolze 577 Abgeordnete haben in jener zentralistischen Präsidialrepublik hier sehr wenig zu tun, weswegen die meisten im Hauptberuf eigentlich Bürgermeister in ihrem Wahlkreis sind. Dennoch ist die meist vor leeren Bänken debattierende Nationalversammlung eine Besucherattraktion. 

Ich unterscheide genau drei Gruppen, die sich vor den Sicherheitskontrollen stauen: die fidelen Rentner, die gewichtigen Notabeln aus der Provinz – immerhin wählt Frankreich 645.000 kommunale Abgeordnete (ein Prozent der Bevölkerung!) – und Schulklassen.

Schicke junge Damen in edlen Kostümen und junge Herren in Freizeithose und Blazer.

Auf den ersten Blick sieht man, wo diese herkommen. Aus den Minderheitenvorstädten ausschließlich Afrikaner und Araber – wobei die Nordafrikanerjungen sich unausgesetzt prügeln und treten – mit völlig resigniert wirkenden Lehrern. Dann die auch nicht sonderlich vergeistigte Jugend aus den industriellen Kleine-Leute-Vierteln mit Lehrerinnen, die wie Feldwebel herumbrüllen und alle in Reih und Glied halten. Außerdem die braven Mädchen im Faltenrock aus den katholischen Privatschulen, deren matronenhafte Lehrerinnen kein böses Wort zu sagen brauchen.

 Und schließlich die junge Elite, schicke junge Damen in edlen Kostümen und junge Herren in Freizeithose und Blazer aus den besseren Vierteln, sagen wir aus dem XVI. Arrondissement oder aus Neuilly, wo Bling-Bling Sarkozy Bürgermeister war, und die ihre Lehrer mit eher blasierter Herablassung behandeln. Mit der sozial durchmischten Jugend meiner südhessischen Vorortvolksschule und des Mittelstadtgymnasiums ist dieses segregierte Aufwachsen in völlig getrennten Welten nicht zu vergleichen.

 Man fragt sich natürlich auch, wie jene Besucher, die fremdkulturellen Ghettobewohner, die Klosterschülerinnen und die Führungskids, sich in ihren Volksvertretern wohl wiedererkennen können, die mehrheitlich übergewichtige ältere sozialistische Abgeordnete, Berufspolitiker und Gewerkschaftler sind, und die selbst wenn sie die diffusen Anliegen der Jugend verstünden, doch nichts auszurichten vermögen. Denn die Entscheidungen fallen in Paris im Élysée und in den Ministerien.