© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Pankraz,
Ian Buruma und die ferne Pax Americana

Ziemlich kurios ein Aufsatz von Ian Buruma kürzlich in der New York Times. Der renommierte niederländische Journalist vom Jahrgang 1951 ist – man höre und beneide! – „Professor für Demokratie, Menschenrechte und Journalismus“ am Bard College in New York und dozierte dort bisher über die Segnungen, welche die amerikanische politische Dominanz in der Welt, die sogenannte Pax Americana, besonders für die Völker Europas gebracht habe. Aber seit der Wahl Donald Trumps zum neuen Präsidenten der USA ist er in seinen Überzeugungen wacklig geworden, wie sein NYT-Artikel zeigt.

„Die Pax Americana“, lesen wir da, „erschien mir allgemein stets als die bessere Alternative zu einem deutschen Exzeptionalismus. Ich denke, sie ist es noch immer. Doch wenn ich das Foto von Trump und Farage sehe, wie sie vor Freude [über Trumps Wahlsieg] die Zähne entblößen, die Daumen hoch, das Gold des Trump-Towers in ihrem Haar leuchtend, frage ich mich, ob Deutschland nicht gezwungen sein könnte, die Lektion zu hinterfragen, die es ein bißchen zu gut gelernt hat, und eine Führungsrolle zu übernehmen.“

Was ist gemeint? Unter „deutschem Exzeptionalismus“ versteht Buruma in erster Linie die bekannte Zögerlichkeit hiesiger Politiker, jene Deutschland natürlich zugewachsene europäische Hegemonie auch nur ansatzweise zu bedenken. „Auch Deutschland“, schreibt er, „dachte einst von sich als von einer außerordentlichen Nation. Das endete in einer weltweiten Katastrophe. Die Deutschen haben ihre Lektion gelernt. Sie wollen in keiner Weise mehr exzeptionell sein, weshalb sie so scharf darauf sind, in einem vereinten Europa eingebettet zu sein. Die Deutschen haben nicht die geringste Lust, andere Länder anzuführen, schon gar nicht militärisch.“


Soll es damit nun, nur weil Trump und Farage in New York fröhlich die Zähne bleckten, nach dem Willen Burumas vorbei sein? Nun, selbst wenn man die argumentative Schwachsinnigkeit seines Bildvergleichs gnädig übersieht, muß man konstatieren, daß der New Yorker Demokratie- und Journalismusprofessor völlig falsch liegt. Die weltpolitischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten Deutschlands hier, der USA dort klaffen derart weit auseinander, daß jeder Versuch, sie als Alternativen gegeneinander auszuspielen, nichts als leeres, abstraktes Gerede erzeugen würde.

 Von deutscher Seite ist nie, auch in den finstersten Zeiten nicht, ein politischer Anspruch erhoben worden, die globalen Verhältnisse mittels Militäreinsatz und „Soft Power“ einem einheitlichen Modell, nämlich dem eigenen, anzupassen und jederlei Widerstand dagegen gewaltsam zu unterdrücken. Auf amerikanischer Seite geschah das sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern; Clinton-Clan und Bush-Clan zeigten sich darin vollkommen ebenbürtig. Die äußerst aggressiv ideologisierenden „Neocons“ der Bush-Ära waren darin sogar die Schlimmsten. 

Insofern ist es hochinteressant und vielleicht sehr folgenreich, wenn jetzt im Zuge des Trump-Siegs die Neocons von den „Alt Rights“ zurückgedrängt werden, denn diese argumentieren nicht aggressiv und neo-imperialistisch, sondern im Gegenteil eher alt-vaterländisch und ethnokulturell. Nicht politische Wahl- und Organisationsformen stehen im Fokus  sondern kulturelle Überlieferungen und Bestände. Nicht mehr „Einheit in der Vielfalt“ lautet die Parole, sondern „Vielfalt in der (allgemein-anthropologischen) Einheit“. Das Prinzip der Freiheit rangiert eindeutig vor dem Prinzip der Gleichheit.

Noch ist natürlich alles im Fluß, spektakuläre Ausschläge in diese oder jene Richtung sind zu erwarten, überraschende Variationen an sich gewöhnter Programmatik. Viel wird vom Verhalten des neu gewählten Präsidenten abhängen. Sein viel belächelter und behöhnter „Narzißmus“, seine für eingefleischte Routiniers „tolpatschige“ Rhetorik, seine Spontaneität und sein volles Sicheinlassen auf den erlebten Augenblick – all das könnte sich auf das politische Klima des Landes, allen Unkenrufen zum Trotz, durchaus positiv auswirken. Man redet nicht mehr um die Sachen herum, sondern endlich über die Sachen selbst.


Die meiste Aufmerksamkeit wird wahrscheinlich die US-Außenpolitik auf sich ziehen, vor allem ihr künftiger Kurs gegenüber Rußland. George W. Bush, seine Neocons und der Clinton-Clan haben hier ein wahres Trümmerfeld hinterlassen; man mußte den Eindruck gewinnen, als ginge es ihnen um eine Neu-Eröffnung des Kalten Krieges aus alten Sowjetzeiten. Die gigantischen geopolitischen Probleme Rußlands nach dem Zusammenbruch der Sowjet-union wurden überall bewußt angeschärft. Washington kehrte geradezu genüßlich den in jeder Hinsicht überlegenen Globalpolizisten und Moralapostel heraus.

Falls sich das in der jetzt anbrechenden Ära Trump ändern würde, käme wirklich ein neuer Wind in die Weltpolitik. Man könnte dann fast schon von einer historischen Wende sprechen. Die von Ian Buruma einst so sehr gepriesene (und jetzt so sehr vermißte) Pax Americana, ohnehin von Anfang an nichts weiter als ein schnödes Herrschaftsinstrument, würde zwar endgültig ins Archiv für überholte Ideologeme abwandern, aber es gäbe aller Wahrscheinlichkeit nach glücklicherweise keinen Nachfolger, auch die Chinesen nicht, von den Deutschen ganz zu schweigen. Weltpolizisten werden nicht gebraucht. 

Was aber den deutschen Exzeptionalismus betrifft, also die Furcht der Deutschen, naheliegende Führungsaufgaben zu übernehmen und nötigenfalls einen sanften Hegemon zu markieren, so steht auch da eine Lösung ins Haus. Immer mehr wache Zeitgenossen erkennen, daß Deutschland gerade im Verhältnis zwischen Rußland und den USA eine hochwichtige, souveräne Vermittlerrolle zuwächst, und die vielen Vergangenheitsbewältiger stören da nur. Sie wollen uns unsere „Lektion“ bis in alle Ewigkeit mit allen Mitteln einpauken. Was ihnen aber bevorsteht, ist Abgang unter Gelächter.