© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Alles muß anders werden
Zum Tode von Roman Herzog: Der einstige Verfassungsrichter und Alt-Bundespräsident war entschlossen und beweglich, resolut – aber nicht autoritär
Konrad Adam

Es gibt Ämter, um die man sich nicht bewirbt. Das Amt des Bundespräsidenten, des ersten Mannes im Staat, gehört in diese Reihe. Beworben hat sich Roman Herzog, der am Dienstag im Alter von zweiundachtzig Jahren gestorben ist, denn auch um keines der vielen, durchweg einflußreichern und verantwortungsvollen Ämter, die er im Laufe seines Lebens innegehabt hat. Sie sind ihm angetragen worden oder zugefallen. 

Deswegen wird man unwillkürlich zögern, mit Blick auf Herzog von einer Karriere zu sprechen, die ja immer etwas Geplantes, Gewolltes und Gesuchtes an sich hat. Das Wort paßt schon deshalb nicht, weil die Art, in der Herzog von der akademischen in die politische Laufbahn wechselte, die ihn dann über das Staatssekretariat und das eine oder andere Ministeramt an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts und weiter ins Präsidentenamt trug, so leicht und mühelos erscheint: als hätte es nicht anders kommen können.

Leicht gemacht hat er es denen, die ihn gerufen hatten, allerdings nie. Wo es etwas zu entscheiden gab, trat er fest und resolut auf, aber ohne demonstrative Härte. Er verstand sich auf die seltene Kunst, zwischen Entschlossenheit und Beweglichkeit die Mitte zu halten. Sein Vorgehen gegen die frommen Leute, die mit ihrer Blockade des Militärdepots in Mutlangen auf der Schwäbischen Alb den Frieden, die Sicherheit, die Zehn Gebote oder wer weiß was bewahren wollten, hat ihm den Ruf eines Eisenfressers eingetragen. Zu Unrecht, da er klüger reagierte als seine Gegner.

Schon damals bewies Herzog seine Fähigkeit, in wilden Zeiten einen kühlen Kopf zu behalten. In seinen Erinnerungen berichtet er von dem sonderbaren Rat, den ihm Johannes Rau, damals Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, gegeben hatte, als es in Mutlangen eng zu werden drohte. Ob er, Herzog, denn nicht für ein paar Tage ins Ausland reisen oder jedenfalls Urlaub nehmen könne, fragte Rau, der später Herzogs Amtsnachfolger werden sollte. Herzog hat das nicht ernstgenommen. Sich seiner Verantwortung als Innenminister des Landes Baden-Württemberg zu entziehen, kam für ihn nicht in Frage.

Ein Mann hatte kein Problem damit, sich als konservativ zu bezeichnen (und einer konservativen Zeitung wie der JUNGEN FREIHEIT Interviews zu geben). Er meinte das im Sinne von Tancredi, dem jugendlichen Helden aus Lampedusas Roman über den „Leoparden“, dem der Autor den Satz in den Mund legt: „Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, muß alles anders werden.“ So etwa sollte man den Sinn des ominösen Wortes deuten, das der bekanntesten von Herzogs Reden den Namen gegeben hat, den „Ruck“.

Als er die Rede hielt, hatte Herzog genug erlebt, um gegen die von Helmut Schmidt empfohlene Reformpolitik, das Schritt-für-Schritt-Verfahren, skeptisch zu werden. Er hatte eine realistischere Vorstellung vom Zustand des Landes, das von den Ansprüchen der Besitzstandwahrer um seine Zukunft geprellt wurde, und glaubte deshalb etwas mehr verlangen zu dürfen als eine Politik der kleinen Schritte.

Den Ruck hat es bekanntlich nicht gegeben, bis heute nicht; mit schlimmen Folgen für das Land und seine Leute. Herzog wollte dem fatalen Eindruck entgegenwirken, daß „die da oben“, wie er sie nannte, die Probleme der Menschen draußen im Lande gar nicht mehr kennen und sich in einer elitären Sonderwelt abschließen, unerreichbar für das Volk, den großen Lümmel. Inzwischen hat sich dieser Eindruck verfestigt und eine Vertrauenskrise ausgelöst, die das Land unregierbar zu machen droht.

Als guter Konservativer blieb Herzog mißtrauisch gegen die großen, umfassenden, endgültigen Antworten. Je mehr Leute sich der Probleme annähmen, desto wahrscheinlicher, daß sie zu einer brauchbaren Lösung fänden, meinte er. Daher seine Abneigung gegen die Europäische Union, die er in einer seiner letzten Wortmeldungen ein Projekt des höheren Irrsinns genannt hat. Das war politisch unkorrekt, aber trotzdem – oder eben deswegen – richtig. Kam allerdings, wie vieles aus diesem Mund, zu spät.