© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

„Ihr könnt uns gar nichts“
Machtprobe: Wie kam es, daß sich Tausende junger Nordafrikaner an Silvester erneut zusammenrotteten? Eine Spurensuche
Hinrich Rohbohm

Mit etwas Wehmut in den Augen zeigt Mounir A. (Name geändert) ein schon etwas vergilbtes Familienfoto. Darauf zu sehen ist er als junger Mann. Schwarzer Schnurrbart, schwarzes Haar, mit stolzem Blick. Zusammen mit seiner Frau und seinen beiden damals noch kleinen Söhnen. Das war vor knapp 25 Jahren. „Wir hatten uns da gerade eine neue Existenz in Deutschland aufgebaut“, sagt der heute 58jährige Marokkaner, der im Herzen Frankfurts ein Restaurant betreibt. „Bei uns herrschte damals eine echte Aufbruchstimmung“, spricht er mit Sehnsucht in der Stimme von den frühen neunziger Jahren, in denen er begann, sich einen Gastronomiebetrieb  aufzubauen.

„Deutschland war für mich das Paradies. Ich sagte mir: Hier kannst du es schaffen.“ Herauszukommen aus der Armut, die er während seiner Jugendzeit in seinem Heimatort Nador erfahren hatte, einer heute 165.000 Einwohner zählenden Stadt an der Mittelmeerküste, nahe der spanischen Exklave Melilla. 

Der Betrieb wuchs. Mounir A. spricht zwar auch heute noch nicht perfekt Deutsch, wie er selbst offen zugibt, aber jeder verstehe ihn. Seine Kinder sind inzwischen selbst berufstätig, verdienen Geld, zahlen Steuern. Dennoch blickt der Wirt mit Sorge in die Zukunft. Seine Haare sind grau geworden, der Schnurrbart ist abrasiert, der Optimismus ist Zweifeln gewichen. 

„Nordafrikaner bekommen einen schlechten Ruf“

„Wie sich einige meiner Landsleute verhalten, bereitet mir große Sorgen“, sagt er. Mit Entsetzen habe er vor einem Jahr die Nachrichten über die zumeist von Nordafrikanern begangenen sexuellen Übergriffe in mehreren deutschen Großstädten während der Silvesterfeiern verfolgt. Obwohl es ihn nicht überrascht habe. „Den Jugendlichen in den nord-afrikanischen Ländern fehlt es meist an Arbeit und einer Perspektive, in ihrem Land zu bleiben“, erzählt er. „Ich bin froh, daß meine Kinder in einem Deutschland aufgewachsen sind, in dem Haßprediger und Islamisten noch kein großes Thema waren.“ Heute habe sich das „vollkommen geändert“. Deutschland setze seinen Wohlstand aufs Spiel. „Die Flüchtlinge unkontrolliert ins Land zu lassen, war ein großer Fehler.“ 

In Frankfurt hätten sich marokkanische Drogendealer schon vor Jahren eine starke Infrastruktur aufbauen können, weil der Staat sie gewähren ließ. „Wenn jetzt junge Menschen aus Nordafrika nach Deutschland kommen, ist ihr erster Anlaufpunkt meistens der Hauptbahnhof. Und da treffen sie genau auf diese Drogenhändler und kommen in falsche Gesellschaft.“ 

Auch daß islamische Extremisten in Moscheen junge Menschen ungehindert radikalisieren können, hält Mounir A. für fatal. „Der Staat schaut zu, wie religiöse Fanatiker und Kriminelle sich neue Leute rekrutieren. Merken die dann, daß ihre Straftaten folgenlos bleiben, werden sie übermütig und wollen ihre Macht auskosten. Dann geschieht so etwas wie in Köln.“ Und darunter habe auch er zu leiden. „Nordafrikaner bekommen dadurch natürlich einen schlechten Ruf in Deutschland.“ Das wirke sich auch negativ auf seine Kundschaft aus. „Als vor einem Jahr bekannt wurde, was sich da Silvester abgespielt hatte, gab es einige Gäste, die nicht mehr zu uns kommen wollten“, beklagt der Wirt. 

Grund dafür dürften Leute wie Fayçal Ahmadi sein. Der 21jährige war wie über tausend andere Nordafrikaner zum Jahreswechsel nach Köln gekommen. „Ein Kumpel hat mir eine Message geschickt, daß da wieder was abgeht“, meint er. Gemeinsam mit Freunden, mit denen er für gewöhnlich im Frankfurter Bahnhofsviertel „abhängt“, habe er sich in den Zug Richtung Dommetropole gesetzt. Als Schwarzfahrer. „Uns hat keiner kontrolliert. Die haben sowieso alle Schiß“, sagt er und lacht. 

Seine zwei neben ihm stehenden marokkanischen Freunde lachen mit. „Ihr könnt uns gar nichts, nicht mal eure Frauen könnt ihr schützen“, höhnt einer von ihnen. Sie wüßten sehr genau, daß die Polizei kaum etwas Ernsthaftes gegen sie unternehmen dürfe. Angegrapscht oder belästigt hätten sie jedoch niemanden, versichern sie. „Aber wenn du siehst, wie die deutschen Frauen herumlaufen, dürfen sie sich nicht wundern. Dann wollen sie das ja irgendwie auch“, meint Fayçal mit vollem Ernst. „Die sehen doch wie Nutten aus“, ergänzt einer in der Runde. Wieder Gelächter. Eine marokkanische Frau würde sich niemals in derart freizügiger Aufmachung in der Öffentlichkeit zeigen, sind sich die drei einig. 

„Dann platzt einem manchmal der Kragen“

„Wenn die rumlaufen wie Schlampen haben sie auch keinen Respekt verdient“, meint auch Saber Abdenur, ein 19 Jahre alter Tunesier, der sich auf der Domplatte und dem Bahnhofsvorplatz in Köln regelmäßig mit Freunden trifft. Was sie da dann den Tag über so treiben, darüber möchte er nicht sprechen. Beim Jahreswechsel 2015/2016 sei auch er am Kölner Hauptbahnhof mit dabeigewesen, sagt er und grinst. Doch auch er beteuert, niemanden belästigt zu haben. „War witzig.“ Witzig? „Zu sehen, wie die Schlampen Panik bekamen und ihre Männer feige wegsahen“, meint er ungerührt, während er neben dem Gespräch lässig mit seinem Smartphone spielt. 

Auch dieses Mal war Saber zur Silvesterfeier gefahren, sei aber nicht zur Domplatte durchgekommen. Wie viele seiner Landsleute, „die ja mitbekommen haben, was letztes Jahr abging. Die wollten einfach nochmal Action haben und was erleben.“ Es sei „extrem viel Polizei“ dagewesen. „So ein Aufstand wegen ein paar zickiger Schlampen“, meint er. Er habe an dem Abend zahlreiche Tunesier getroffen. Sie seien aus Frankfurt gekommen, aus Essen, Düsseldorf, Bochum, Bottrop und aus Wuppertal. „Kann sein, daß einige darin auch eine Machtprobe mit der Polizei gesehen haben. Aber die meisten wollten einfach nur Spektakel erleben.“

Ein Spektakel, für das die Polizisten den Kopf hinhalten müssen. Allein in Köln waren 1.500 von ihnen im Einsatz gewesen, um 2.000 Nordafrikaner in Schach zu halten. Ähnliche Ansammlungen waren aus Dortmund, Düsseldorf, Hagen, Essen und Frankfurt gemeldet worden. Dabei sollen auch Feuerwerkskörper auf Rettungskräfte und Feuerwehr geworfen worden sein. 

Auch nach den Feiertagen zeigt die Polizei daher am Kölner Hauptbahnhof Präsenz. „Wir würden uns manchmal schon mehr Solidarität aus der Politik wünschen“, sagt einer der Beamten dort, der anonym bleiben möchte. Der Frust sitze tief bei einigen Kollegen. „Der Job ist schon schwierig und gefährlich genug. Und wenn einem dann noch Vorwürfe von Politikern gemacht werden, weil wir einfach nur unsere Arbeit erledigen, dann platzt einem manchmal der Kragen.“ 

„Man hat deutlich gespürt, daß die Stimmung gedrückter war als sonst“, meint Svea, eine hochgewachsene 29 Jahre alte Werbetexterin mit dunkelblondem Haar aus Leverkusen, die trotz der Ereignisse des letzten Jahres am Dom Silvester feierte. Es seien auch zahlenmäßig deutlich weniger Leute als sonst gekommen. Belästigt worden sei sie nicht. „Aber ich möchte nicht wissen, was hier ohne Polizei abgegangen wäre.“

„Warum wird so etwas     nicht sofort unterbunden?“

Zugleich herrscht großes Unverständnis über zuviel Nachsicht gegenüber den „Nafris“, wie die nordafrikanischen Intensivtäter im Polizeijargon heißen. „Warum wartet man so lange, bis sich so ein Mob von mehreren hundert Leuten erst formieren kann“, empört sich ein Rentner gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Die beschießen sich mit Böllern und Raketen, werfen Knallkörper auf unbeteiligte Passanten und das schon weit vor Mitternacht. Warum wird so etwas nicht sofort unterbunden?“ fragt er sich. 

„Da kann doch die Polizei nichts dafür“, meint seine Frau. „Die Politiker, die jetzt der Polizei Diskriminierung vorwerfen, die müßte man doch mal zur Verantwortung ziehen.“ Ihr Mann schüttelt den Kopf. „Wirst sehen, die Politiker tauchen ab, wenn’s eng wird.“ Wie er dürften momentan viele denken. Und nicht nur in Köln.





„Nafris“

Das Kürzel „Nafri“ (nordafrikanische Intensivtäter) für Kriminelle aus den Maghreb-Staaten, die immer wieder wegen der gleichen Delikte auffallen, ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. 

In einer Studie des Bundeskriminalamts heißt es: „Der Anteil von Staatsangehörigen aus den Maghreb-Staaten an der Gruppe der Tatverdächtigen war sehr viel höher als ihr Anteil an der Gruppe der Zuwanderer. Die deliktischen Schwerpunkte lagen bei diesen Tatverdächtigen im Bereich der Diebstahlsdelikte gefolgt von Vermögens- und Fälschungsdelikten.“ 

Die meist jungen Männer hätten in der Regel keinerlei legale Bleibeperspektive und seien häufig äußerst aggressiv. Regelmäßig würden sie bei Festnahmen die Beamten schlagen, treten oder beißen, heißt es in internen Berichten der Polizei. 

Der CDU-Innenpolitiker und ehemalige Bundespolizist Armin Schuster resümierte mit Blick auf den Jahreswechsel: „Daß sich in der Silvesternacht erneut so viele Menschen derselben Herkunft wie im Vorjahr nach Köln aufgemacht haben, das war eine Machtprobe.“ Sie hätten versucht, „den deutschen Staat anzutanzen“. 

Foto: Nordafrikaner zu Silvester in Köln: „Zu sehen, wie die Schlampen Panik bekamen und ihre Männer feige wegsahen“