© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Pankraz,
der CCC und der reduzierte Komplex

Neulich beim traditionellen Jahresendkongreß des Chaos Computer Clubs (CCC) in Hamburg, der diesmal ganz der Polemik gegen den „Populismus“ gewidmet war, konnte man es wieder einmal registrieren: Der herrschende politisch-mediale Komplex hat panische Angst vor der Reduktion von Komplexität. Das heimtückische Hauptkampfmittel der Populisten, so vernahm man, sei ihr Versuch, die Politik zu dekomplexisieren. Dem müsse mit allen Mitteln entgegengewirkt werden.

Die Welt sei doch hochkomplex, und sie erfordere zur Bewältigung der Probleme eine Elite von hochkomplexen digitalen Netzwerkern, wie sie zum Beispiel im CCC versammelt seien. Und da kämen also jetzt die Populisten und wollten alles dekomplexisieren! „Die Wahrheit“, so führte Professor Martin Haase auf dem Kongreß aus, sei ein sehr wichtiges Argument des Populismus, weil sie angeblich stets einfache Gewißheiten beinhalte und nie kompliziert oder schwer zu durchschauen sei. Zudem sei die Wahrheit des Populismus stets dystopisch gefärbt und dazu angetan, Ängste zu schüren. Nieder mit diesen Angstmachern!

Wer aber, so fragt sich Pankraz, macht denn mehr Angst, die Populisten, welche die Komplexität reduzieren wollen, oder die CCC-Netzwerker, die den Hals mit Komplexität nicht voll genug kriegen können und permanent darauf hinweisen, daß alles so unendlich komplex sei? Natürlich ist die Welt unendlich komplex, doch gerade deshalb läuft ja alles menschliche Bemühen darauf hinaus, dieses Gestrüpp von Komplexität zu reduzieren, Schneisen zu schlagen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Nur so sind Überleben und Wahrheitsfindung überhaupt möglich.


Arbeitsorganisation, Wissenschaft, anspruchsvolle Kunst – all das ist, bei Lichte betrachtet, Reduzierung von Komplexität. Der bedeutende Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann hat die Sache schon vor Jahrzehnten auf den Begriff gebracht: Ohne Komplexitätsreduktion würde (zumindest bei höher entwickelten Lebewesen, die zur Wahrnehmung vieler verschiedener Arten von Reizen imstande sind) unerträgliche, letztlich tödliche Reizüberflutung stattfinden.

Zudem – so seinerzeit Luhmann – ermöglicht einzig die Reduzierung von Komplexität  menschliche Kommunikation per Sprache und Zeichengebung. Nur ganz selten ist die Komplexitätsreduktion mit Informationsverlust verbunden. Wird etwa die Komplexität eines sozialen Systems reduziert, so sinkt zwar – theoretisch betrachtet – seine Anpaßbarkeit an die Komplexität seiner Umwelt; bei der Reduzierung handelt es sich jedoch in der Regel nur um die Komplexität der Darstellung des Systems. Die Reduktion ist lediglich eine unumkehrbare Abbildung, die das Systemverständnis derer, die diese Darstellung nutzen, einschränkt.

Luhmann war übrigens bei weitem nicht der erste, der die Reduktion von Komplexität als Grundakkord menschlichen In-der-Welt-Seins beschrieb. „Einfältigwerden“, also sich einfalten, war für Meister Eckhart im Mittelalter der Königsweg zur Erkenntnis, an dessen Ende sich kein Geringerer als Gott selbst offenbarte. Und schon in der Antike hörten Mathematiker – wie auch heute noch – erst dann mit der Reduzierung auf, wenn ihre Formeln auf ein Optimum von Einfachheit und Knappheit reduziert waren. Nur knappe, einfache Formeln sind für die Mathematik sowohl „wahre“ wie auch „schöne“ Lösungen.

Freilich zeigt gerade die Mathematik, daß Reduktion von Komplexität nicht einfach ist.  Sie ist meistens das Resultat schwieriger, durchaus komplexer Rechen- und Wegkürzmethoden. Das so oft besungene „einfache, wahre  Leben“ ist, zumindest für Mathematiker, nie und nimmer naturgegeben, die Natur ist von Haus aus ein Wust von überkomplexer, gegeneinander wuchernder Ungleichgewichte. Man muß sie mit ihren eigenen Waffen schlagen, um sie verstehbar und beherrschbar zu machen, muß sich mutig ins Meer der Ungleichheiten und  Unübersichtlichkeiten stürzen.


Es ist also falsch und gefährlich, wenn populäre Ratgeberbücher stattdessen, um es kurz und kräftig zu sagen, eher ein Leben in der Dummheit empfehlen. Man soll demnach dies und das links liegenlassen, seinen Aufmerksamkeitshorizont freiwillig verengen, sich auf „das Wesentliche“ konzentrieren usw. usw. Wer das blindlings befolgt, der mag sich vielleicht tatsächlich „glücklicher“ fühlen als ein nervöser Wahrnehmungsfanatiker, aber er verdummt eben à la longue, bekommt geistige Elefantenhaut – und liefert sich, was die Politik betrifft, genau jenem politisch-medialen Komplex aus, dem er doch eigentlich entkommen wollte.

Wohin es bei dem läuft, darüber konnte man auf dem CCC-Kongreß so manche beklemmende Meinung vernehmen. Die Politik, so hieß es in vielen Pausengesprächen, werde sich demnächst grundlegend ändern. An die Stelle von Wahlen werde „die Auswertung von Big Data“ treten, denn nur diese sei den hochkomplexen Zuständen gewachsen. Die Demokratie sei eine veraltete Technologie. Etwas Neues müsse her, das sowohl die kollektiven Absichten als auch die sachlichen Notwendigkeiten sofort erkennbar und einsatzfähig machen könne.

Wer die Big-Data-Maschinen in Gang setzen und aus den Resultaten die notwendigen Schlüsse ziehen und „verwirklichen“ sollte, darüber gab es keinen Zweifel: Es müßten die auf Komplexität getrimmten digitalen Netzwerker sein; wer das bezweifle, sei ein reaktionärer Reduzierer von Komplexität, habe von nichts eine Ahnung und müsse von allen Entscheidungen ferngehalten und aus allen öffentlichen Diskursen entfernt werden. Nur so kann offenbar die „Schöne neue Welt“ geschaffen werden, die einst Aldous Huxley schon so früh so genau beschrieben hat.

Für alle diejenigen aber, die nicht von der schönen neuen Welt einfach verschluckt werden,  wollen, gilt es nun, mächtig aufzupassen und sich auch über neue Strategien der Reduzierung von Komplexität Gedanken zu machen, getreu dem bekannten Sprichwort: Nur die allerdümmsten Kälber / Wählen ihre Schlächter selber.