© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Strafrecht im Spannungsfeld
Milde ist verfehlt
Günter Bertram

Strafrecht kommt in gewissem Sinne immer zu spät: Das Gericht kann und darf nur das bestrafen, woran es nichts mehr ändern kann, weil es schon geschehen ist. Dies gilt, wie schon allgemein, natürlich auch für Kriminalität, die durch ausländische, besonders islamische Massenzuwanderung zu uns ins Haus gespült wird. Die Strafgerichte sind weder imstande noch dazu berufen, die von der Politik gesetzten Prämissen – gesetzt etwa durch die Flüchtlings-, Migrations- und Grenzpolitik sowie von einer pauschalen Willkommenskultur – zu ändern. Die sind ihnen vorgegeben. Der Richter hat nur die Elle des Strafrechts an das zu legen, was daraus erwachsen, und was ihm zur Aburteilung zugewiesen wird.

Dergleichen galt allerdings schon seit Jahrzehnten, sogar im hohen Grade: In vielen deutschen Großstädten haben sich längst kriminelle Ausländermilieus und Clans derart verfilzt, verfestigt und sind so dominant geworden, daß selbst die Polizei solche Stadtviertel meidet und notfalls erst in Mannschaftsstärken dort einrückt. Darüber redet man nicht. Gelegentlich aber reißt einem Insider der Geduldsfaden, er packt aus, berichtet schonungslos und rührt kurzzeitig das Entsetzen der Öffentlichkeit auf; aber die Politik beschwichtigt, treibt vielleicht ein wenig Kosmetik und kommt mit ihrem unschlagbaren Argument, solche „pauschalisierenden“ Berichte gössen doch nur Wasser auf die Mühlen der AfD.

„Wo kein Kläger, da kein Richter“ – das galt also schon immer. Aber hier gilt es eben aus besonderen Gründen. Alle vorangehenden Mängel im Verwaltungsvollzug, aber auch im rechtlichen Gewirr, die Rechtsanwalt Heiko Urbanzyk in dieser Zeitung („Lieber Knast als Ausreise“, JF 51/16) eindrucksvoll beschrieben hat, läßt die Strafjustiz als dritt­rangig, ja als nahezu funktionslos und entbehrlich erscheinen.

Allerdings trügt dieser Schein letztlich wohl doch, denn das Strafrecht, das notwendigerweise den geschehenen Taten erst nachfolgt, wirft seine Schatten voraus:

Zunächst und vor allem durch Generalprävention, die jedem Strafausspruch und seiner Vollstreckung immanent ist: Es ist ja schon eine Alltagserfahrung, daß Sanktionsdrohungen, die lediglich auf dem Papier stehen, in den Wind geschrieben sind. Nur wenn im Volksbewußtsein das Vertrauen darauf verwurzelt bleibt, daß der Staat Einbruch, Diebstahl, Raub, Körperverletzung, Vergewaltigung usw. nicht etwa achselzuckend geschehen läßt, sondern sichtbar alles daransetzt, die Verdächtigen aufzuspüren, zu ergreifen und vor Gericht zu stellen, so daß sie, soweit überführt, den Ernst der Strafe zu spüren bekommen, bleibt das soziale Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung erhalten. Und zugleich wird nur so dem Täter und seinen Kreisen eingeschärft, daß sie sich einem ernsthaften Risiko aussetzen, wenn sie sich in Deutschland durch Straftaten und Übergriffe mit Staat und Gesellschaft anlegen. In der Sprache der Kriminologen heißt letzteres (Abschreckung des einzelnen Täters und seiner potentiellen Nachahmer und Genossen) „negative Generalprävention“, das andere (Festigung und Bewahrung des allgemeinen Vertrauens in den Bestand der Rechtsordnung) „positive Generalprävention“.

Es gibt eine harte

Klientel, die auch durch Strafvollzug nicht zu beeindrucken ist. Sie ist durch den Zuzug von Tätern aus islamischen Kulturkreisen sichtbar angewachsen. Diese fordern den Staat oft bewußt heraus.

Letztlich bleibt hier nur die Abschiebung.

Unnötig zu sagen, daß ein nur lax gehandhabtes Strafrecht nicht nur ein jedes dieser beiden Ziele gröblich verfehlt, sondern ihr krasses Gegenteil heraufbeschwört: so wenn Beschuldigte, die übler, schwerer Taten gerichtlich überführt worden sind, mit Bewährungsauflagen und einer Freiheitsstrafe, die nur auf dem Papier steht, unter dem Beifall ihres Clans den Gerichtssaal verlassen. Beispiele für dergleichen, aus früherer und gegenwärtiger Zeit, gibt es leider in Hülle und Fülle.

Nun pflegt – soweit dieser Befund nicht einfach übergangen wird – hier der Einwand zu folgen, der Zweck des Gesetzes sei ja auch nicht die Generalprävention – diese sei wissenschaftlich längst überholt und abgetan –, sondern die Resozialisierung des Täters durch Lebenshilfe und Erziehung; und da die meisten der beschuldigten Zuwanderer junge Männer seien, die letztlich nur nach Jugendstrafrecht sanktioniert werden dürften, komme gerade für sie schon von Gesetzes wegen gar nichts anderes als die pure Resozialisierung („Spezialprävention“) in Frage. So haben in der Tat Jugendgerichte immer wieder unbegreiflich milde, zahnlose Urteile über schwere, ja widerwärtige Taten gefällt und eine befremdete Öffentlichkeit dahin belehrt, daß es hier der rechtsverbindliche Maßstab der Resozialisierung gewesen sei, der ein mildes, auf Sozialpädagogik zugeschnittenes Urteil verlangt habe – auch wenn das Volk dies vielleicht nicht zu begreifen vermöchte.

Diese Auffassung war schon früher ein Irrtum, und heute ist sie aus besonderem Grund ganz verfehlt: Das Pathos sozialpädagogischer Euphorie, das Strafe verdammt und Erziehung als Allheilmittel gepriesen hatte, ist auch in der ernsthaften Wissenschaft inzwischen verklungen und hat einem realistischeren Menschenbild Platz gemacht, das den ausschließenden Gegensatz von Erziehung und Strafe nicht mehr kennt. Schon das Strafgesetz selbst ist keineswegs auf Resozialisierung zugeschnitten. Ganz im Gegenteil: Es sind immer die Taten als solche und ihr krimineller Gehalt, von denen Art und Schwere der Reaktion abhängen sollen – von Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Raub bis hinab zur Beleidigung und zum Hausfriedensbruch; man vergleiche die über dreihundert Tatbestände des Strafgesetzbuchs!

Ihrem durchaus unterschiedlichen Gewicht entsprechen zwar keine punktgenauen Strafen, jedoch die unterschiedlichen Strafrahmen. Erst innerhalb dieser Rahmen und zu ihrer Präzisierung im Einzelfall spielen spezialpräventive Gesichtspunkte – wie Erziehungsbedarf – eine Rolle oder können das tun. Dabei ist auch hier eine milde Sanktion keineswegs immer richtig; oft gilt das Gegenteil.

So ist in Hamburg bereits vor Jahrzehnten der Fall eines unverbesserlichen Autodiebs notorisch geworden, der nach seinen Delikten zwecks Resozialisierung immer wieder auf Erlebnisreisen ins Ausland – unter erzieherischer Begleitung! – geschickt worden war, stets erfolglos; der nach weiteren Eskapaden schließlich Autos in Polen stahl und dann dort endlich für längere Zeit ohne Erbarmen ins Gefängnis gesteckt worden war. Als sich das in Hamburg herumgesprochen hatte und hiesige Reporter den Jungen schließlich in polnischer Haft interviewten, bekannte dieser, daß ihm alles, was er jetzt durchmachen müsse, sicherlich erspart geblieben wäre, wenn er rechtzeitig schon in Hamburg einen „Schuß vor den Bug“, also eine wirkliche Strafe bekommen hätte. Ein Fall für tausend und mehr andere und spätere!

Schließlich aber gibt es eine harte Klientel, die auch durch Strafvollzug, selbst einen längeren, nicht zu beeindrucken ist. Die gab es immer schon, aber jetzt ist sie durch den Zuzug von Tätern aus islamischen Kulturkreisen sichtbar angewachsen. Diese fordern den Staat oft bewußt heraus. Hier bleiben als Strafgrund und -zweck nur die positive Generalprävention und die – zeitweilige – Sicherung der Gesellschaft. Und für beides ist Milde durchaus verfehlt. Aber letztlich bleibt hier nur die  Abschiebung, für welche zu sorgen die gerichtliche Kompetenz aber weit überschreitet.

Auch die Strafgerichte tragen gerade in der gegenwärtigen Krise viel Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft und deren Vertrauen in einen funktionierenden, sich selbst behauptenden Rechtsstaat. Sie können ihre Aufgabe durch Laxheit verfehlen.

Auch die Strafgerichte tragen also, entgegen dem ersten Eindruck, gerade in der gegenwärtigen Krise viel Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft und deren Vertrauen in einen funktionierenden, sich selbst behauptenden Rechtsstaat. Sie können ihre Aufgabe durch Laxheit verfehlen – verfehlen aber auch dann noch, wenn ihre Urteile im Ergebnis in Ordnung sind. Dies zeigt ein Hamburger Fall aus jüngster Zeit:

Auch hier war es in der Neujahrsnacht 2015/16 zu einer Masse sexueller Übergriffe auf Frauen gekommen, etwa 400 von ihnen erstatteten Anzeige. Die Ermittlungen der Polizei gestalteten sich extrem schwierig. Meist fehlten Sachbeweise, und nach der Erinnerung der Opfer sahen die Verdächtigen durchweg mehr oder weniger gleich aus, so daß sie die konkreten Täter nicht mehr zuverlässig identifizieren konnten. Es kam in den wenigen bewiesenen Fällen zu unverständlich milden Sanktionen; sonst aber zu Freisprüchen mangels Beweises. So auch im vermutlich letzten Hamburger Prozeß zur Neujahrsnacht, in dem drei Männer aus Tunesien, dem Irak und Marokko vor Gericht standen.

Die Kammer hatte den Tatverdacht zunächst für so dringend gehalten, daß sie Haftbefehle gegen die drei erließ; später hob sie diese wieder auf, das Oberlandesgericht setzte sie erneut in Kraft. In der Hauptverhandlung ließ sich der Verdacht aber nicht ausreichend erhärten, und die Staatsanwaltschaft selbst plädierte auf Freispruch mangels Beweises. So war es durchaus korrekt, daß die Strafkammer die Angeklagten freisprach und ihnen wegen ihrer 190 Tage Untersuchungshaft je 4.600 Euro Haftentschädigung zuerkannte. Was die Hamburger Öffentlichkeit aber mit Recht in Rage versetzte, waren die rhetorischen Girlanden, mit denen die Vorsitzende Richterin ihr mündliches Urteil garnierte:

Geradezu unterwürfig hatte sie sich bei den Angeklagten dafür entschuldigt, daß sie überhaupt mit einem Strafverfahren überzogen worden seien – angeblich trotz schwerer Ermittlungsfehler und schlampiger Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft; und daß sie – „alarmierend für unseren Rechtsstaat“ – deshalb sechs Monate in U-Haft gesessen hätten. Das Verfahren habe den ungeheuren Druck der öffentlichen Meinung, der Medien und der Politik gezeigt, Ausländer auch ohne ausreichenden Beweis als Täter zu verfolgen. Im Namen der Hamburger Justiz wolle sie sich für alles entschuldigen und könne nur hoffen, daß die Angeklagten ihren Glauben an den deutschen Rechtsstaat nicht verloren hätten.

In ganz anderem Tone hingegen verfuhr die Richterin mit der jungen Studentin, die in jener Nacht Opfer geworden und jetzt Zeugin war. Kein Wort des Mitgefühls für sie, nur die herablassende Bemerkung, ihr sei damals ja gar nicht allzuviel passiert.

Die Willkommenskultur kann also – selbst in der Justiz – seltsame Blüten treiben. Daß die drei Beschuldigten vom Rechtsstaat keineswegs enttäuscht, sondern mit ihm hochzufrieden gewesen sein werden, ist zu vermuten, aber belanglos. Belangvoll und katastrophal aber ist der öffentliche Eindruck, daß ein Gericht sich zugewanderten Fremden anbiedert, den eigenen Staat, die eigene Justiz verdammt und ein deutsches Opfer mißachtet. Nur ein krasser Fall? Hoffentlich. Der grobe Fehlgriff hat aber vielleicht auch sein Gutes, indem er zeigt, daß auch die Gerichte Pflichten zu erfüllen haben, die über das rein juristische Handwerk weit hinausreichen.






Günter Bertram, Jahrgang 1933, übte über 35 Jahre das Amt des Richters aus. Nach kurzer Zeit als Zivilrichter wurde das Strafrecht seine Domäne. Seit Beginn der siebziger Jahre bis zu seiner Pensionierung 1998 war er Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg. Bertram leitete langjährig die Redaktion der Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins und publizierte vielfach in der Neuen Juristischen Wochenschrift.

Foto: Hinter Gittern ins Nachdenken kommen: Ein früh gegebener „Schuß vor den Bug“, das heißt eine tatsächlich abzusitzende Haftstrafe, würde bei vielen eine kriminelle Karriere verhindern können