© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Sie ist dann mal weg
Reaktionen: Die Konservative Erika Steinbach hat aus Protest die CDU verlassen
Paul Rosen

Für Erika Seinbach bringt der Austritt aus der CDU und der Bundestagsfraktion ein Stück mehr Freiheit: Die frühere Präsidentin des Bundes der Vertriebenen kann als fraktionslose Abgeordnete bis zum Ende der Legislaturperiode zu jedem Tagesordnungspunkt im Plenum das Wort ergreifen. Die 73jährige Politikerin, die nicht erneut für das Parlament kandidieren will, ist damit nicht mehr vom Wohlwollen des Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder abhängig, der das letzte Wort über die Fraktionsrednerliste hat – oder von der Gnade des Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU), der gelegentlich Abgeordnete, die von der einheitlichen Meinung der Bundestagsfraktionen zum Beispiel zur Euro-Währung abweichen, zu Wort kommen läßt. 

Wie eng das Korsett für einen Abgeordneten in der Unionsfraktion ist, schilderte die Abgeordnete Veronika Bellmann der JUNGEN FREIHEIT. Steinbach habe viele Male „in der Fraktion gesprochen. Aber irgendwann ist vermutlich bei jedem, dem bei seinen Diskussionsbeiträgen eisige Stille, Häme oder unsachlicher Widerstand entgegenschlägt, die Zeit des Kämpfens vorbei.“ Bellmann will selbst nicht aus der CDU austreten, aber Steinbachs Gründe kann sie akzeptieren: „Die Gründe für Frau Steinbachs CDU-Austritt, als da sind rechtswidrige, einsame, teilweise planlose Entscheidungen der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung vorbei an Partei und Parlament zu Energiewende, Eurorettung, Flüchtlingspolitik, die Deutschland nach links gerückt und im In- und Ausland geschadet haben, kann ich bestens nachvollziehen, und ich teile sie auch.“ 

Ähnlich äußert sich die ebenfalls einen sächsischen Wahlkreis vertretende CDU-Abgeordnete Bettina Kudla: „Die Kritik an der Asylpolitik sollte man ernst nehmen, die Wortwahl gegenüber der Bundeskanzlerin ist emotional, man sollte dies nicht überbewerten, riet Kudla im Gespräch mit der jungen freiheit. Politische Lösungen sehe sie, Kudla, aber nur mit der CDU: „Insofern kann ich den Schritt von Frau Steinbach zwar verstehen, ich halte ihn aber nicht für richtig.“ Auch bei anderen CDU/CSU-Politikern fand Steinbach für ihre Kritik Verständnis, etwa bei Hans-Peter Uhl (CSU). CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer meinte, aus der CSU wäre Steinbach nicht ausgetreten. 

Erleichterung beim            gesamten Establishment

Steinbach hatte der Kanzlerin unter anderem vorgeworfen, geltendes Recht gebrochen und mehr als eine Million Migranten ungesteuert und ungeprüft ins Land gelassen zu haben. Merkel habe der CDU und Deutschland massiv geschadet. Steinbach will sich aber nicht der Alternative für Deutschland (AfD) anschließen, obwohl sie von AfD-Politikern wie Beatrix von Storch ausdrücklich dazu eingeladen worden war.  

Beim politischen Establishment hingegen war fraktionsübergreifend Erleichterung zu spüren, daß Steinbach die CDU nach über 40 Jahren Mitgliedschaft verläßt. Für den hessischen SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel wäre es sogar konsequent gewesen, wenn die CDU Frau Steinbach „vor die Tür gesetzt“ hätte. Der hessische SPD-Bundestagsabgeordnete Gerold Reichenbach spottete, der rechte Rand der CDU „bewegt sich nach rechts, bis er halt abkippt“. Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, sprach von einem „längst überfälligen Schritt. Warum die CDU ihre rechte Hetze so lange duldete, ist eine andere Frage.“

Führende CDU-Politiker warfen Steinbach vor, sich nicht eingebracht zu haben. „Maßlose und unberechtigte Vorwürfe über die Medien und nicht im direkten Gespräch zu verbreiten, ist nicht konservativ“, erklärte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Der baden-württembergische CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl, meinte, Steinbach sei es gar nicht darauf angekommen, „sich einzubringen, einen demokratischen Diskurs zu führen“. Sie habe vor allem provozieren wollen. Der Austritt sei ein konsequenter Schritt. Der hessische CDU-Generalsekretär Manfred Pentz forderte die Niederlegung des Abgeordnetenmandats, „das sie der Partei zu verdanken hat“. Kritisch äußerte sich auch Thüringens CDU-Fraktions- und Landeschef Mike Mohring. „Jeder Austritt aus unserer Partei ist bedauerlich“, sagte Mohring der JF. Es sei jedoch kein guter Stil, „am Ende der politischen Karriere der Partei in die Beine zu grätschen, der man politisch auch einiges zu verdanken hat“.

Mit seinem feinen Gespür für Entwicklungen bezeichnete Peter Gauweiler (CSU), der sein Bundestagsmandat schon vor einiger Zeit niedergelegt hatte, den Schritt von Steinbach als „Sturmwarnung“ für die CDU.