© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Neue Staaten? Kein Problem
Selbstbestimmung in der EU: Ein Symposium in Brüssel zeigt Chancen und Risiken
Mina Buts

Über das Selbstbestimmungsrecht der europäischen Völker zu reden, gilt noch nicht als Tabu. Jedenfalls solange es bei der nur theoretischen Beschäftigung bleibt. Anders sieht es aber dann aus, wenn es um die juristischen Aspekte und möglicherweise sogar die konkrete Umsetzung geht. Das jedenfalls bekamen die Organisatoren der Konferenz, die in der vergangenen Woche im Brüsseler Europaparlament stattfand, zu spüren. Eigentlich hatte die Nicht-Regierungsorganisation ICEC, die Internationale Kommission für die Europäischen Bürger, erneut Europaparlamentarier und Experten eingeladen, die – vor allem mit Blick auf das im Herbst 2017 in Katalonien stattfindende Referendum – erläutern sollten, wie ein neuer Staat in der EU formalrechtlich korrekt geschaffen werden kann. Das erste Symposium des ICEC im Dezember 2015 zur „Implementierung der Selbstbestimmung in Europa“ war ein Erfolg, diesmal war es gelungen, auch Wales und Irland mit ins Boot zu holen. Sieben Europaparlamentarier aus Großbritannien, Belgien, Spanien und Frankreich sollten zum Thema „Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker in der EU“ sprechen.

Nordiren warnen vor rigiden Grenzkrontrollen

Da sich aber auch Anna Arqué, Galionsfigur der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung und Sprecherin des ICEC angesagt hatte, blieben zwei spanische Europaparlamentarier fern, das Konzept mußte kurzfristig geändert werden. Statt einer gemeinsamen Konferenz von Vertretern der europäischen Parlamentsfraktionen der Linken von GUE/NGL, den Grünen von The Greens EFA, den Liberalen von Alde und den Konservativen und Reformern des ECR gab es zwei, direkt aneinander anschließende Veranstaltungen, erst der gewählten Vertreter und der von ihnen benannten Redner, dann der Nicht-Regierungsvertreter aus Flandern, Katalonien, Venetien, Wales, Irland und dem Baskenland. 

Die Schaffung neuer Nationalstaaten in der EU, so der Tenor der Rechtsexperten Antonio Abat (Uni Kopenhagen), Nikos Skoutaris (Uni East-Anglia) und Mario Zubiaga (Uni des Baskenlandes), sei nicht klar geregelt. Zwar sei immer wieder zu spüren, daß gerade die offiziellen Vertreter der Europäischen Union solchen Bemühungen, die sie gern als separatistisch diffamierten, feindlich gegenüberstünden und diese mit Verbalattacken bis hin zu offenen Drohungen verhindern wollten. Erkläre dann aber ein neuer Staat seine Unabhängigkeit, unternähme die EU faktisch nichts dagegen. Noch nie sei eine Sezession für illegal erklärt worden. Das Recht, da waren sich die vortragenden Juristen einig, schaffe bei der Entstehung neuer Staaten eher Probleme, als daß es Lösungen dafür anbiete.

MdEP Martina Anderson (Sinn Fein) bedauerte freimütig das Brexit-Votum, schließlich wollten 65 Prozent der Nordiren in der EU verbleiben. Der von ihr vorgestellte Conor Patterson, Chef der Handelskammer der nord-irischen Stadt Newry, schürte auf sehr drastische Weise Ressentiments gegen den Brexit. Auf riesigen Monitoren präsentierte er Bilder von bewaffneten Soldaten, kreisenden Hubschraubern, Panzern und brutalen Grenzsperranlagen: So würden die Grenzkontrollen nach dem Vollzug des Brexit zwischen Nordirland und Irland wieder aussehen. Die einfachste Lösung des Problems – die übrigens auch Sinn Fein propagiert – nämlich, Nordirland endlich mit Irland wiederzuvereinigen, fiel ihm allerdings partout nicht ein.

Appell für Gewaltfreiheit der Basken überraschte    

Ein wenig hilflos wirkte auch die walisische Vertreterin Jill Evans, europäische Abgeordnete von Plaid Cymru. Sie bedauerte, daß die Waliser ebenso wie die Engländer gegen einen Verbleib in der EU und gegen weitere Einwanderung seien, ein starke Stimme für Unabhängigkeit gäbe es bislang nicht.

 Die Redezeit war wegen des Potpourris der Vortragenden äußerst begrenzt, und so hätte der Baske Mario Zubiaga die Veranstaltung fast gesprengt, als er mehrfach und ausführlich ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit ablegte. Immerhin wurde so jedem der etwa 350 Zuhörer im Saal noch einmal vor Augen geführt, daß der Freiheitskampf im Baskenland nicht immer von Gewaltlosigkeit geprägt war.

Das feurigste Plädoyer hielt die amerikanische Journalistin Liz Castro, die seit Jahren in Katalonien lebt: Die katalonische Nationalbewegung sei mittlerweile so stark, daß sie nicht nur das Recht, sondern vor allem auch die Möglichkeit und die Ressourcen habe, die Unabhängigkeit ihres Landes zu erreichen.