© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Ikone des schiitischen Widerstands
Irak: Ayyub Faleh will mit seinen Einheiten den IS „zu Mehl“ verarbeiten / Dabei stößt er nicht immer auf Gegenliebe
Marc Zoellner

Wenn Ayyub Faleh vor die Kamera tritt, dann niemals unbewaffnet: meist mit einem Schnellfeuergewehr und unzähligen, am Camouflageanzug befestigten Handgranaten; und manchmal auch mit einem Schwert aus Damaszenerstahl drohend. „Illa Tahin!“ pflegt der muskelbepackte Hüne mit dem dichten schwarzen Lehrerbart und dem wettergegerbten Gesicht dann zu rufen, wenn er zu seinen Anhängern von seinen Feinden spricht: „Zu Mehl mit ihnen!“

Ayyub Faleh liebt solche martialischen Auftritte. Zehntausende von begeisterten Zuschauern folgen seinen Video-Botschaften mittlerweile, seinen grotesken Darbietungen aus den Hot Spots des Kampfes der irakischen Regierung sowie ihrer iranischen Verbündeten gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) – und durchaus auch seinen eigenen gefilmten Kriegsverbrechen. Beispielsweise von jenen IS-Militanten, die, an ihren Füßen an einem Gerüst aufgehängt, von Ayyub bei lebendigem Leib mit dem Schwert in Stücke geschnitten wurden. Später hatte er gestanden, dies sei ein großer persönlicher Fehler gewesen.

Der „Rambo des Irak“ 

verfolgt seine eigenen Ziele 

Als „Rambo des Irak“ hat sich der Kommandeur der Haschd asch-Schabi, der Volksmobilmachungseinheiten (PMU), wie sich die paramilitärische schiitisch-irakische Gruppierung im Original nennt, in der westlichen Presse einen Namen gemacht. Unter seinen eigenen Jüngern wird er jedoch stets nur „Abu Azrael“ genannt: „Der Vater des Todesengels“, denn den Gerüchten nach soll Ayyub allein bereits über anderthalbtausend IS-Anhänger getötet haben. Er ist der erfolgreichste Soldat in diesem Krieg – und damit eine Ikone für den Widerstand gegen die radikalislamischen Terroristen des IS. Zumindest im bevölkerungsreichen Süden des Zweistromlandes, in den von Schiiten dominierten Städten des Delta und in den überfüllten Arbeiterquartieren Bagdads. 

Doch je weiter nördlich man dringt, um so mehr erweckt der Name Abu Azrael das blanke Gegenteil in den Menschen: die Angst vor dem Tod, vor Massakern und vor der grausamen Rache der Schiiten an den sunnitischen Stämmen des Irak. 

Nicht zu Unrecht: „Wir werden Rache nehmen für die 1.700 unschuldigen Opfer von Speicher“, drohte Ayyub Faleh Anfang vergangener Woche in einem Interview mit der kurdischen Nachrichtenagentur Rudaw in Bezugnahme auf den von Dschihadisten begangenen Massenmord an schiitschen Kadetten auf dem ehemaligen US-Militärstützpunkt „Camp Speicher“ nahe der Stadt Tigrit vom Juni 2014. „Selbst jene, die dem IS auch nur mit einem Glas Wasser geholfen haben, gehören erhängt und getötet. “

Noch tobt der Kampf um Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Vergangenes Wochenende gelang es irakischen Armeeeinheiten erstmalig, im Zentrum der Metropole zum Ufer des Tigrit vorzustoßen. Bilder von der irakischen Flagge hoch über dem befreiten Universitätscampus, von geduckt hinter gepanzerten Wagen marschierenden Soldaten, von geplünderten Ladenquartieren und verwüsteten Wohnblocks wurden von der Bagdader Regierung veröffentlicht. Zuvor hatte der IS sämtliche Brücken über den Strom gesprengt. Am Freitag jedoch waren die ersten beiden Brückenköpfe bereits gesichert, hieß es aus Militärkreisen.

Ayyub Falehs Elitemilizionäre beteiligen sich nicht am langwierigen Häuserkampf um die Millionenstadt Mossul. Sie stehen bereits sechzig Kilometer westlich im Felde, belagern Tal Afar, seit Juni 2014 Hoheitsgebiet des IS. In der mehrheitlich von Turkmenen bewohnten Stadt unweit der syrischen Grenze – und ebenso kaum 70 Kilometer von der Türkei entfernt – gedenken die PMU den Mossuler IS-Extremisten den Rückweg anzuschneiden. Die Tatsache, daß die arabische Schiitenmiliz mittlerweile selbst in die turkmenischen und kurdischen Gebiete des Nordirak eindringt, weckt jedoch neue Feindschaften in einem ohnehin fragilen Bündnis der ethnisch wie religiös vielfältigen Völkerschaften des Irak und seiner Nachbarn gegen ihren gemeinsamen Widersacher, das Islamische Kalifat.

„Tal Afar ist ein sehr heikles Thema für uns“, erklärte der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei, Numan Kurtulmus, vergangene Woche im Interview mit Rudaw. „Die Einmischung der PMU in die Belange von Tal Afar sehen wir keinesfalls als positiv. Es ist eine turkmenische Stadt, mit halb schiitischen und halb sunnitischen Muslimen. Wir bewerten die Menschen dort nicht nach ihrer religiösen Ausrichtung, wir betrachten sie als Muslime. Doch sollte die PMU diese Region terrorisieren, wird unsere Antwort darauf eine andere sein.“

Kurden beobachten Schiiten mit Skepsis 

Den Volksmobilmachungseinheiten des Abu Azrael wirft Ankara vor, bei ihren Vorbereitungen zur Schlacht um Tal Afar auch mit kurdischen Extremisten der PKK zu kollaborieren. Das gefürchtete Exekutivbündnis beider Parteien war für die Türkei bislang führende Begründung, ihre Militärbasen nördlich Mossuls entgegen der Forderung Bagdads weiterhin in Betrieb zu belassen. Als historische Schutzmacht nicht nur der Turkmenen, sondern sämtlicher Sunniten des Irak fürchtet die Türkei eine mögliche Dominanz der Schiitenmiliz nach dem Fall der Metropole auch im Norden des Irak.

Auch im gut 350 Kilometer entfernten, an der iranischen Grenze gelegenen Chanaqin mehren sich die Proteste gegen eine weitere Einflußnahme der PMU: Diesmal allerdings von kurdischer Seite. „In der Vergangenheit haben die Peschmerga keiner anderen Partei erlaubt, bewaffnete Kräfte in den Kurdengebieten zu stationieren“, wies Hemin Mansour, der lokale Vorsitzende der Volksunion Kurdistans (PUK), das Ansinnen von PMU-Werbern zurück, schiitische Kurden aus der Umgebung für die Miliz zu rekrutieren. „Und wie in der Vergangenheit, so werden die Peschmerga auch künftig die einzige Schutzmacht für die Sicherheit in dieser Region bleiben.“