© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Propaganda, Desinformation, Instrumentalisierung: Die hybride Kriegsführung des Kremls
Europa im Zangengriff
Bernd Posselt

Mit Blick auf die Spannungen zwischen Rußland und der Europäischen Union wird immer wieder vor einem neuen „Kalten Krieg“ gewarnt. In Wirklichkeit ist die Entwicklung längst viel weiter fortgeschritten: Die Annexion der Krim und die gewaltsame Destabilisierung der Ostukraine durch nur oberflächlich getarntes russisches Militär hatten von Anfang an mehr mit einem heißen als mit einem kalten Krieg zu tun. Daß er eingedämmt werden konnte, ist vor allem der bisherigen Geschlossenheit zwischen EU und USA zu verdanken sowie der von Angela Merkel in Kooperation mit François Hollande initiierten Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Dialog wird immer wieder gepflegt – wahrscheinlich sprach die Bundeskanzlerin selten so oft mit dem russischen Präsidenten wie seit dessen Angriff auf die Ukraine –, aber gleichzeitig der permanente Völkerrechtsbruch durch das russische Regime unverblümt kritisiert.

Die von verschiedenen Seiten angeprangerten Sanktionen der EU gegen Rußland erzielen durchaus Wirkung. Sie sind klug dosiert und betreffen vor allem bestimmte Spitzentechnologien, insbesondere in der Verteidigungsindustrie und in der Energiewirtschaft. Noch verheerender wurde die Ökonomie des Landes von der wohl größten Kapitalflucht in dessen Geschichte sowie von sinkenden Öl- und Gaspreisen erschüttert.

Selbstverständlich ist mit einer vom Volk getragenen, breit angelegten Revolution gegen den Kremlherrscher auch vor diesem Hintergrund nicht zu rechnen. Doch im Kreis der Oligarchen rings um ihn ist immer häufiger von der Überlegung zu hören, ob er dem Land und vor allem seinen wirtschaftlich führenden Schichten mehr nutzt oder mehr schadet. Putin reagiert darauf in einer Art und Weise, die deutlich macht, wie sehr er nicht im von weltweiter wirtschaftlicher Vernetzung geprägten 21. Jahrhundert, sondern im alten Großmachtdenken des 19. lebt. Deshalb sein massives militärisches Auftreten im Syrien-Konflikt, deshalb auch sein systematisch angelegter Versuch, die Europäische Union zu spalten oder gar zu zersplittern.

Dazu bedient sich der ehemalige KGB-Offizier modernster propagandistischer Methoden. Er führt mittels gezielter Unwahrheiten, subversiven Aktivitäten und zahlreichen zu trojanischen Pferden umgerüsteten Organisationen breit angelegte Propagandaschlachten, wie sie der große russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn in ihrer gröberen Variante in der Breschnew-Ära als „Dritten Weltkrieg“ bezeichnet hatte.

Seit Jahren häufen sich die Hinweise auf indirekte, aber auch direkte Unterstützungsmaßnahmen bis hin zur Finanzierung für Nationalisten, Rechts- und Linksextremisten sowie zweifelhafte Vertreter des „christlichen Abendlandes“ in ganz Europa aus dubiosen russischen Quellen. Allen diesen einander widersprechenden und sich oftmals bekämpfenden Parteien und Organisationen wird für ihre finanzielle Förderung nur eine einzige Bedingung gestellt: Sie müssen wirksam anti-europäisch agieren.

Wer heute offen über das Moskauer Expansionsstreben im Mittelmeerraum und im Osten Europas spricht, wird oft mit dem Gegenvorwurf konfrontiert, auch die Vereinigten Staaten hätten keine weiße Weste. Was aber macht das besser? 

In diesen Zusammenhang gehören auch massive Manipulationen der neuen elektronischen Medien, insbesondere der sozialen Netzwerke, wie sie in der ein Jahr zurückliegenden Affäre um das angeblich vergewaltigte rußlanddeutsche Mädchen in Berlin („Fall Lisa“) erstmalig umfassend enttarnt wurden. Die professionelle Gehirnwäsche durch die russischen Fernsehsender mit ihren englischen und deutschen Tochteranstalten sowie die Instrumentalisierung von Rußlanddeutschen und ihren ebenfalls in Deutschland lebenden russischen Verwandten haben bislang ungeahnte Ausmaße angenommen. Ich selbst erlebte im kleinen Kreis einen russischen Diplomaten, der unverhohlen drohend auf jene ehemaligen sowjetischen Staatsangehörigen hinwies, die heute in der Europäischen Union beheimatet sind und dort Wahlrecht besitzen.

Wer heute offen über das Moskauer Expansionsstreben im Mittelmeerraum und im Osten Europas spricht – der Krisenbogen reicht von Königsberg und den baltischen Staaten über die Ukraine, Transnistrien und den Kaukasus bis hinein in die arabische Welt –, wird oft mit dem Gegenvorwurf konfrontiert, auch die USA hätten keine weiße Weste. Was aber macht das besser? Als scharfer und frühzeitiger Kritiker sowohl der US-Intervention seinerzeit in Afghanistan als auch der später im Irak habe ich stets die Auffassung vertreten, daß Europa seine Sicherheit, seine Freiheit und seine Interessen gegenüber allen Mächten wahren muß – ob es sich um einen bislang bewährten Bündnispartner wie die USA oder um einen schwierigen Nachbarn wie Putins Rußland handelt.

Im November stieß eine Entschließung des Europäischen Parlamentes zur Putinschen wie auch der islamistischen Propaganda gegen Europa und die freie Welt mit ihrer ungewöhnlich deutlichen Aussprache auf besondere Beachtung. Dieser Text benennt als Ziel der „feindseligen Propaganda gegen die EU“, daß es dem Kreml darum gehe, „Wahrheiten zu verzerren, Zweifel zu schüren, Mitgliedstaaten zu entzweien, eine strategische Spaltung zwischen der EU und ihren nordamerikanischen Partnern herbeizuführen, den Entscheidungsprozeß lahmzulegen, die EU-Organe (...), die eine anerkannte Rolle bei der Gestaltung der europäischen Sicherheit und Wirtschaft spielen, gegenüber den Unionsbürgern und den Bürgern benachbarter Länder zu diskreditieren“ etc. Solche Desinformation sei Teil der von Putin mit viel Geld vorangetriebenen „hybriden Kriegsführung“. Die EU müsse dem auf allen Ebenen durch strategische Kommunikation entgegenwirken „und entsprechende Ressourcen mobilisieren“.

Das Europaparlament stellte in dem Bericht „mit Bedauern fest, daß Rußland Kontakte zu und Treffen mit EU-Amtskollegen eher für Propagandazwecke und zur öffentlichkeitswirksamen Schwächung des gemeinsamen Standpunktes der EU als für die Aufnahme eines echten Dialogs nutzt“. Zu den von der russischen Regierung gegen die EU „mit erheblichen finanziellen Mitteln“ ausgestatteten Desinformationsinstrumenten zählen nach Ansicht des Straßburger Hauses „Denkfabriken und spezielle Stiftungen (zum Beispiel „Russki Mir“), eigens eingerichtete Behörden, mehrsprachige Fernsehsender (zum Beispiel „Russia Today“), Pseudo-Nachrichtenagenturen und Pseudo-Multimediadienste (zum Beispiel „Sputnik“) ...“

Schonungslos wird auch die Instrumentalisierung grenzüberschreitender gesellschaftlicher und religiöser Gruppen enthüllt, „da sich das Regime als einziger Vertreter traditioneller christlicher Werte darstellen will“. Soziale Medien und Trolle im Internet hätten die Aufgabe, „die demokratischen Werte in Frage zu stellen, Europa zu spalten (...) und in den Ländern der östlichen Nachbarschaft der EU den Eindruck zu erwecken, als hätten sich ihre staatlichen Strukturen aufgelöst“.

Das Europaparlament zeigte sich besorgt „über die rasante Ausbreitung vom Kreml ausgehender Aktivitäten in Europa, (...) die darauf abzielen, den Einfluß Rußlands aufrechtzuerhalten bzw. zu steigern und die EU zu schwächen“. Moskau gehe es wesentlich darum, „einige europäische Länder als in den ‘traditionellen Einflußbereich Rußlands’ fallend darzustellen (...), Geschichte zu verfälschen“ und die Aufklärung von Verbrechen des kommunistischen Regimes zu verhindern. Straßburg forderte Nato und EU auf, sich gegen den „Informationskrieg im Cyber-Bereich“ zur Wehr zu setzen.

Links- und Rechtsextremisten haben im Außenpolitischen Ausschuß und im Plenum des Europäischen Parlaments in zentralen Fragen die offizielle Linie des Putin-Regimes nahezu wortgleich vertreten und einander demonstrativ Beifall gespendet.

Die mit dem Moskauer Expansionsstreben konfrontierten, am östlichen Rand von Nato und EU gelegenen, jahrzehntelang von Sowjetkommunisten unterdrückten Länder wie die baltischen Staaten, Polen, die Ukraine, die Republik Moldau und Rumänien blicken derweil auch zunehmend beunruhigt nach Washington. Angesichts der offenen Sympathien von Donald Trump für Wladimir Putin, der teilweisen Unterwanderung seines Apparates durch Moskauer Propagandisten – allen voran der als Sicherheitsberater vorgesehene ehemalige US-General Michael T. Flynn, der in den vergangenen Jahren regelmäßig im Zentralorgan der russischen Auslandspropaganda, dem Fernsehsender „Russia Today“ auftrat –, werden bei unseren östlichen Nachbarn, je nach Mentalität, Erinnerungen an die Konvention von Tauroggen, den Hitler-Stalin-Pakt oder die Konferenz von Jalta wachgerüttelt.

Sie befürchten, daß sich die Macht im Westen und die Macht im Osten zu ihren Lasten miteinander arrangieren. Die EU gewinnt damit strategisch an Bedeutung, der sie bislang unzureichend gerecht wird, was die Solidarität mit und das Verständnis für Mitgliedstaaten jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhanges betrifft.

Noch krasser treibt diese Angst Länder wie die Ukraine um, in der immer noch Krieg tobt, in der ein großer Teil des Landes weiterhin von Putins mehr oder weniger getarnten Milizen beherrscht wird, wobei die ursprünglichen Bewohner der völkerrechtswidrig annektierten Krim, die Tataren, am meisten zu leiden haben.

Im westlichen Teil der EU finden sich die Putin-Versteher und Kreml-Verharmloser nicht nur dort, wo Cyberkrieg und mediale Propagandaschlacht ihre Wirkung entfalten, nicht nur in ostgeschäftsbewegten Wirtschaftskreisen, sondern zunehmend auch auf politischer Ebene. Die von etlichen Geheimdiensten und vom Europäischen Auswärtigen Dienst sowie vom Nato-Geheimdienst gründlich erforschten Verbindungen des Kreml zu Links- und Rechtsextremisten sowie zu einander widersprechenden Nationalismen in den meisten europäischen Ländern lassen sich auch öffentlich leicht erahnen, wenn man deren Stellungnahmen zur russischen Politik verfolgt oder auch die Berichterstattung über sie in den von Moskau gesteuerten Medien gründlich analysiert.

In Frankreich wurden zwar nur die finanziellen Verbindungen des Front National und der Familie Le Pen zur First Czech-Russian Bank in Moskau enthüllt, aber Trotzkistenführer Jean-Luc Mélenchon artikuliert sich ostpolitisch nicht viel anders. Beide Seiten haben sowohl im Außenpolitischen Ausschuß als auch im Plenum des Europäischen Parlaments in zentralen Fragen die offizielle Linie des Putin-Regimes nahezu wortgleich vertreten und einander demonstrativ Beifall gespendet, obwohl sie vermeintlich die beiden Extreme des politischen Spektrums markieren. Wer sich mit dem kurz vor Weihnachten abgeschlossenen, zehnteiligen Partnerschaftsvertrag der FPÖ mit der kremlnahen Partei „Einiges Rußland“ befaßt, wird nicht den Eindruck haben, der Wagenknecht-Flügel der Linkspartei gehöre zum politisch entgegengesetzten Lager.

Um es klar zu sagen: Dialog mit Rußland ist selbstverständlich und notwendig. Er wurde und wird gerade von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesregierung intensiv gepflegt. Zur Ehrlichkeit nachbarschaftlicher Beziehungen gehört aber auch, sich unzweideutig gegen Bestrebungen zur Destabilisierung europäischer Länder wie der Ukraine, zur Unterminierung der Europäischen Union und zur Anheizung aufeinanderprallender Nationalismen zu wenden, wie auch gegen Menschenrechtsverletzungen im Inneren Rußlands. Auch in der Sowjet-Ära waren nicht diejenigen die Freunde des russischen Volkes, die zu solchen Themen schwiegen.






Bernd Posselt, Jahrgang 1956, MdEP a. D., ist Präsident der Paneuropa-Union Deutschland e.V. und Beauftragter der CSU für Ostmittel- und Osteuropa. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Ukraine-Krieg („Der Kontinent ist in Gefahr“, JF 11/15).

Foto: Krieg mit anderen Mitteln gegen Deutschland und die westliche Welt: Die russischen Geheimdienste bedienen sich modernster, psychologisch ausgefeilter Methoden zur politisch-ideologischen Diversion. Ziel: „Wahrheiten verzerren, Zweifel schüren, EU-Mitgliedstaaten entzweien, EU und Nordamerika spalten“