© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Ein höchst einseitiger Akt
Vor zwanzig Jahren unterzeichneten die Bundesrepublik und Tschechien eine Aussöhnungsdeklaration
Gernot Facius

Es waren politisch brisante Minuten in Prag. Am 21. Januar 1997, kurz nach 16 Uhr, setzten Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Vaclav Klaus im Liechtenstein-Palais an der Moldau ihre Unterschriften unter die nach zwei Jahren diplomatischen Gerangels zustande gekommene Deutsch-Tschechische Deklaration, „eine resolute beiderseitige Erklärung darüber, wie wir die Vergangenheit sehen, und, vor allem, wie wir uns die Zukunft wünschen“ (Klaus). Große Worte.

Doch ein Gefühl der Harmonie wollte sich nicht ausbreiten. Wie halte man es nun mit den ungelösten Eigentumsfragen der Vertriebenen, wurde Kohl von einem Redakteur der Sudetendeutschen Zeitung gefragt. Knappe Antwort: Sie bleiben „natürlich“ offen. Klaus war außer sich, und frostig blieb die Stimmung beim Abendessen der beiden Delegationen. Dabei hatte der deutsche Kanzler nur die politischen Fakten dargelegt: Privatpersonen können selbstverständlich den Klageweg beschreiten, um eine Entschädigung für das ihnen geraubte Vermögen zu erhalten. Von einer Unterstützung solcher Forderungen durch die Bundesregierung, wie sie die Landsmannschaft verlangte, war nicht die Rede. 

Für Prag war Ausbootung der Vertriebenen das Ziel

Doch für die tschechische Seite war das schon zuviel. Regierungs- wie Oppositionspolitiker äußerten sich „schockiert“. Die Deklaration beende „eindeutig“ die Debatte über die Eigentumsfrage, hatte Außenminister Josef Zieleniec  bereits am 15. Dezember 1996 erklärt. Und dieser Satz wurde nun mehrmals bekräftigt. Zugegeben, der bürgerlichen Regierung in Prag wurde es nicht leichtgemacht, der vergröbernd „Aussöhnungserklärung“ genannten Deklaration zuzustimmen. Sie hatte es mit einer sozialdemokratischen Opposition zu tun, der allein das vage Wort „Bedauern“ im Zusammenhang mit der Vertreibung zu weit ging. 

Mit einem „Motivenbericht“ für das tschechische Parlament stellte Klaus klar, daß damit eine Distanzierung von „Exzessen“ beim sogenannten „wilden Abschub“ gemeint sei, nicht der „Transfer“ als solcher – eine Deutung, die sich auf dem Höhepunkt der Debatte auch Staatspräsident Vaclav Havel zu eigen machte. Für Havel lag, das sagte er ganz offen, das Wichtige der Unterzeichnung der Deklaration darin, daß „von diesem Moment an“ die Bundesregierung die Forderungen von sudetendeutscher Seite „politisch nicht mehr unterstützt“. 

Was half es da, daß Klaus Kinkel, der damalige deutsche Außenminister, etwas hilflos beteuerte: „Die deutsche Seite hat sich (auch) nicht verpflichtet, Eigentumsfragen nicht aufzuwerfen. Die Verpflichtung geht lediglich dahin, die künftigen Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen zu belasten.“ Für Prag war diese Formel nichts anderes als die Bestätigung tschechischer Schlußstrich-Wünsche. „Sowohl die Beneš-Dekrete als auch die Vermögensansprüche halten wir für ein für allemal erledigt“, ließ sich die Außenpolitikexpertin von Klaus’ damaliger konservativer Bürgerpartei ODS, Helena Malotova, zitieren. „Und ich denke, daß wir keinesfalls auf diese Frage zukommen werden. Es wäre auch nicht gut für unser gegenseitiges Verhältnis.“ 

Zwanzig Jahre nach dem feierlichen Akt im Liechtenstein-Palais hat sich daran nichts geändert. Die Beneš-Dekrete, die zur Entrechtung und Vertreibung von etwa drei Millionen Sudetendeutschen führten, sind weiter Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung. Dem Vertreiberpräsidenten wurde sogar vom Prager Parlament bescheinigt, sich um die Nation verdient gemacht zu haben. Am skandalösen Amnestiegesetz von 1946, das tschechische Täter von strafrechtlicher Verfolgung freistellte, wurde nicht gerührt. Und die ungeklärte Entschädigungsfrage steht weiter zwischen Prag und den Vertriebenen. 

Inzwischen sieht allerdings der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), Bernd Posselt, der noch 2007 erklärt hatte, die Deklaration habe „kein einziges der offenen Probleme gelöst“ und sie entfalte auch nicht die von beiden Regierungen beschworene Versöhnungswirkung, die Erklärung „positiv“. Falsch sei damals gewesen, daß das Papier „an uns vorbei verhandelt wurde“. 

Verständigungsprozeß ist immer noch schwierig

Die Erklärung, so Posselt im Prager Rundfunk, habe aber die Institutionen geschaffen, „in denen man sich annähern konnte“: das deutsch-tschechische Gesprächsforum und den Zukunftsfonds zur Finanzierung gemeinsamer Projekte. „Von Anfang an waren sowohl im Verwaltungsrat des Zukunftsfonds als auch im Beirat des Gesprächsforums Sudetendeutsche in großer Zahl vertreten.“ Der Verständigungsprozeß werde jetzt „zwischen den Menschen gemacht“. Das zeige der Auftritt des tschechischen Kulturministers Daniel Herman auf dem Sudetendeutschen Tag 2016: „Ich würde sagen, daß es das größte historische Ereignis zwischen Tschechen und Sudetendeutschen seit Kriegsende war.“ 

Ob er meine, daß nun die Unrechtsgefühle auf beiden Seiten verschwinden, wurde der SL-Sprecher gefragt. Die Antwort: So schnell gehe das nicht. „Wir bei der Landsmannschaft haben die Satzung geändert und eine Grundsatzerklärung verabschiedet, in der wir uns auch sehr deutlich äußern zu unseren eigenen Fehlern und Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus. Das wird bei uns von manchen Leuten sehr attackiert. Und auch auf tschechischer Seite werden die Menschen, die die Verständigung vorantreiben, sehr angegriffen.“ Posselt ließ allerdings unerwähnt, daß die Änderung der Zweckbestimmung der SL (unter anderem Verzicht auf „Wiedergewinnung der Heimat“ und auf Entschädigung) juristisch nicht in trockenen Tüchern ist. Von einer Satzungsänderung kann erst die Rede sein, wenn sie die Zustimmung des Registergerichts gefunden hat. Das ist aber bislang nicht der Fall.