© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Herr Höcke sorgt für Streit
„Mahnmal der Schande“: Gegen Thüringens AfD-Chef wird ein Ordnungsverfahren eingeleitet / Uneinigkeit im Bundesvorstand
Felix Krautkrämer / Christian Vollradt

Björn Höcke ist mit einem – Achtung: Kalauer! – blauen Auge davongekommen: Kein Ausschluß, aber ein Parteiordnungsverfahren. Das ist das Ergebnis, auf das sich der AfD-Bundesvorstand in einer Sitzung am Freitag vergangener Woche sowie einer dreistündigen Telefonkonferenz am Montag geeinigt hat. Einigen konnte. Turbulent sei es bisweilen in der Debatte hergegangen, ist aus Parteikreisen zu hören. Denn die inhaltliche Auseinandersetzung in der „Causa Höcke“ wurde – wieder einmal – von den Machtkämpfen der verfeindeten Lager innerhalb des Vorstands überlagert. 

Aber der Reihe nach: Am Dienstag abend vergangener Woche hatte Thüringens AfD-Vorsitzender Höcke in Dresden auf Einladung der örtlichen Parteijugend eine Rede gehalten, in der er auch das Thema Geschichtspolitik bespielte und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte. Noch immer, kritisierte er, entspreche der Gemütszustand der Deutschen dem „eines total besiegten Volkes“. Und weiter: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Der Applaus im Publikum war ihm so sicher wie der deutschlandweite Skandal am folgenden Tag. 

Akzeptanz bei  Bürgerlichen beschädigt

Die Wellen der Empörung über den Begriff „Denkmal der Schande“ schlugen hoch, so daß Höcke bereits am nächsten Tag per Pressemitteilung eine Klarstellung nachreichte: Er habe den Holocaust, „also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk“ bezeichnet. „Und ich habe gesagt, daß wir Deutsche diesem auch heute noch unfaßbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben.“ Zur eigenen Selbstvergewisserung müßten sich, so Höcke, die Deutschen der immensen Schuld bewußt sein: „Sie ist ein Teil unserer Geschichte.“ Die Fähigkeit, sich der eigenen Schuld zu stellen, „zeichnet uns Deutsche aus“, betonte der Politiker. 

In seiner Dresdner Rede habe er jedoch darauf hingewiesen, daß diese Schuld „eben nur ein Teil unserer Geschichte“ sei. Er habe in diesem Zusammenhang hinterfragen wollen, „wie wir Deutschen auf unsere Geschichte zurückblicken und wie sie uns im 21. Jahrhundert identitätsstiftend sein kann“. Zugleich kündigte Höcke rechtliche Schritte gegen alle diejenigen an, die das, was er gesagt habe, bewußt verleumderisch und bösartig interpretiert hätten.

Doch das überzeugte nicht alle Parteifreunde. „Björn Höcke ist mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden“, sagte Petry am vergangenen Mittwoch der JUNGEN FREIHEIT. Die AfD müsse sich entscheiden, ob sie den Weg der Republikaner gehen wolle oder den anderer erfolgreicher Parteien wie der FPÖ. „Wir werden Realisten sein oder politisch irrelevant werden“, warnte die AfD-Chefin. „Unsere Aufgabe ist es, die Lösung der enormen Probleme des Euro, der inneren Sicherheit, bei Energie, Familie und Migration voranzutreiben.“

Scharfe Kritik an der Rede äußerte umgehend auch der nordrhein-westfälische AfD-Chef Marcus Pretzell. „Fatal ist nicht, daß Höcke ständig mißverstanden wird, fatal ist, daß dies in einem Bereich deutscher Geschichte geschieht, bei dem es der Anstand verbietet“, betonte der EU-Abgeordnete gegenüber der JF. „Daß es ausgerechnet einem Geschichtslehrer passiert, sagt viel über unser NRW-Bildungssystem aus.“

Auf Facebook ergänzte Pretzell: „Eins können wir von unseren europäischen Partnern lernen. Alle hatten Vertreter in ihren Reihen, die daran glaubten, daß Debatten über die Vergangenheit helfen, die Zukunft zu gestalten. Alle haben diesen Irrweg nicht eingeschlagen und schmerzhafte Trennungen vollzogen, die den Weg zur Volkspartei erst geebnet haben.“ Auch die AfD sollte daher diesen Weg der „Vernunft und des Realismus“ gehen, wenn sie Deutschland verändern wolle, meinte der Ehemann Petrys.

Die öffentliche Schelte des Duos Petry/Pretzell gegen ihren innerparteilichen Intimfeind Höcke hatte dann eine erste, absehbare Konsequenz: eine einheitliche Reaktion des AfD-Bundesvorstands auf die Dresdner Rede war damit unmöglich. Und so ließ eine – ganz andere – Verlautbarung nicht lange auf sich warten: „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht“, meinte Brandenburgs AfD-Vorsitzender Alexander Gauland. Wer die gesamte Rede Höckes gehört habe, könne darin nichts Rechtsextremes oder Antisemitisches entdecken. Gauland, der auch Bundesvize der AfD ist, kritisierte, Höckes Aussagen seien in Medienberichten bewußt ins Gegenteil verkehrt worden.

Unter Anspielung auf die innerparteilichen Kritiker – darunter AfD-Chefin Petry – sagte er: „Mir ist unverständlich, wieso einige Parteifreunde dies auch noch unterstützen.“ Der thüringische Fraktionsvorsitzende habe lediglich darauf hingewiesen, „daß unsere historischen Leistungen aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus von den zwölf furchtbaren Jahren weitgehend in den Schatten gestellt wurden“. Höckes Anliegen sei eben die Geschichtspolitik, und „jeder von uns hat bestimmte Themen, die ihm besonders am Herzen liegen“, äußerte sich Gauland verständnisvoll.

Und AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen meldete sich erst einen Tag später zu Wort: Er sehe keinen weiteren Handlungsbedarf. „Ich habe mit Herrn Höcke ausführlich gesprochen, und er hat in seiner öffentlichen Erklärung dargelegt, wie er seine Rede gemeint hatte. Ich halte keine weiteren Konsequenzen für notwendig, vor allem keine disziplinarischen“, sagte Meuthen der jungen freiheit. „Es ist wie so oft bei Herrn Höcke. Er tut sich und der Partei mit solchen Themen und diesem Duktus keinen Gefallen“, so Meuthen weiter. 

„Ich würde es daher begrüßen, wenn Herr Höcke die Wortwahl bei seinen Reden etwas sorgfältiger bedenkt.“ Die Intention von Höckes Rede könne er aber trotzdem nachvollziehen. „Es ist nichts Falsches daran, die einseitige Verengung der Betrachtung der deutschen Geschichte auf die barbarischen zwölf Jahre aufbrechen und auch die hellen Seiten deutscher Geschichte mehr würdigen zu wollen.“ 

Er könne aber auch diejenigen verstehen, die meinten, es gebe momentan drängendere Themen. „Und die öffentliche Wahrnehmung gibt den Kritikern von Herrn Höcke leider recht. Solche Reden bedienen ungewollt unseren politischen Gegner. Ich fürchte, daß diese Geschichte unserer Akzeptanz bei bürgerlichen Wählern schadet.“

Daß es in der Angelegenheit nicht zu einer geschlossenen Reaktion des Parteivorstands gekommen sei, führte Meuthen auf die kurze Zeit und die verschiedenen Meinungen in der AfD zurück. „Wir alle waren am Mittwoch in Terminen gebunden. Da war wenig Zeit, ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Insbesondere wenn in einer solchen Frage sehr unterschiedliche Ansichten herrschen.“ Es sei kein Geheimnis, daß er und Alexander Gauland die Personalie Höcke anders sähen als Petry.

„30 Stimmen gewonnen, 30.000 verloren“

Am weitesten in seiner inhaltlichen Kritik ging Bundesvorstandsmitglied Dirk Driesang. In einem offenen Brief warf er Höcke vor, er sei auf dem besten Weg „die AfD im Westen deutlich unter zehn Prozent zu drücken und bundesweit zu diskreditieren“. Höcke packe auch Richtiges „in einen unappetitlichen Umschlag, daß kein vernünftiger Mensch den Inhalt noch essen möchte oder verdauen könnte“. Driesang kritisierte zudem Höckes Beschwörung, die AfD müsse eine „fundamentaloppositionelle Bewegungspartei“ sein. 

Auch die Bundesvorstandsmitglieder Beatrix von Storch und Alice Weidel geißelten die rückwärtsgewandte Debatte im Stile Höckes. Seine „Alleingänge schaden der Akzeptanz der Partei bei den Bürgern“, so Weidel gegenüber der JF.

In der Debatte des Bundesvorstands über mögliche Sanktionen gegen Höcke hätten dann am Freitag nach Informationen der jungen freiheit Petry und Weidel die schwersten Geschütze aufgefahren: die Einleitung eines Ausschlußverfahrens. Dieser Antrag habe jedoch die notwendige Mehrheit verfehlt. Nicht zuletzt weil Petry zur Veranstaltung ihres Mannes nach Koblenz aufbrechen mußte (siehe Seite 6), habe man sich auf Montag vertagen müssen. 

Dort wurde dann das – ergebnisoffene – Ordnungsverfahren beschlossen. „Der Bundesvorstand stellt fest, daß die Äußerungen von Björn Höcke dem Ansehen der Partei geschadet haben“, heißt es in dem Beschluß. Alle rechtlichen und politischen Gesichtspunkte, die es dabei zu bedenken gelte, würden geprüft, die Mitglieder in einem Rundschreiben informiert. Nach Informationen der JF stimmten zehn Mitglieder für die Maßnahme, drei waren dagegen. Bei ihnen soll es sich um den Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen sowie die Landeschefs von Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Andrè Poggenburg und Alexander Gauland, handeln.

Diese Mindervoten erfolgten sicherlich weniger aus inhaltlicher Übereinstimmung mit Höcke als – wie oben erwähnt – aus grundsätzlicher Abneigung gegen Petry. Immerhin einer, so ist zu hören, soll jedoch aus dieser Phalanx ausgeschert sein und Höckes Auftritt intern ein verheerendes Zeugnis ausgestellt haben: Berlins Landeschef und Bundesvize Georg Pazderski. Sein Berliner Parteifreund, der Publizist Nicolaus Fest, der bereits am Tag nach der Dresdner Rede wenig Verständnis für Höckes Äußerungen gezeigt hatte, meinte in seinem kommentierenden Wochenrückblick-Video sarkastisch: „Jetzt haben wir in Thüringen vielleicht 30 Stimmen mehr und im Westen 30.000 weniger.“