© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

„Wir sind die Eliten satt“
Kongreß: Die in der Fraktion ENF zusammengeschlossenen Parteien haben sich in Koblenz feiern lassen / Kritik an Teilnahme der AfD
Hinrich Rohbohm

Oh nein“, jammert der Fahrer eines silberfarbenen Audis. Der Weg geht für ihn nicht weiter. Absperrgitter verstellen die Zufahrt zur Koblenzer Rhein-Mosel-Halle. Zwei Einsatzkräfte in Schutzwesten und mit Maschinenpistolen bewaffnet kommen näher. Ausweiskontrolle. Wer eine Einladung zum ENF-Kongreß hat, darf passieren. Dutzende Einsatzfahrzeuge stehen aufgereiht in der Nähe der Halle. Aus den Fenstern einiger umliegender Häuser hängen Transparente. „Koblenz bleibt bunt“ steht auf ihnen. Eine Kampfansage linker Gruppen. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen. Besucher müssen sich mehrfach durchsuchen lassen. 

 Wasserflaschen? „Dürfen nicht mit in den Saal hinein“, belehrt der vor der Tür stehende Ordner einen der knapp 1.000 Gäste, die zum Kongreß der rechtsnationalen Europaparlamentsfraktion ENF gekommen sind. ENF, das steht für „Europa der Nationen und der Freiheit“. In ihr haben sich unter anderen der französische Front National, die FPÖ, der flämische Vlaams Belang, die italienische Lega Nord und die niederländische PVV des Islamkritikers Geert Wilders zu einem Bündnis zusammengeschlossen. 

Zu ihnen gehört auch der Europaabgeordnete und nordrhein-westfälische AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell, der den Kongreß in Koblenz eingefädelt hat. Eine Veranstaltung, die nicht nur Politiker, sondern auch Sicherheitskräfte als hochexplosiv ansehen. Der Grund: Neben der Front National-Chefin Marine Le Pen steht mit Geert Wilders einer der meistgefährdeten Personen Europas als Redner auf der Tagesordnung. 

Kritik am Parteiprogramm des Front National

Im Vorfeld des Treffens schicken Beamte des Bundeskriminalamts Spürhunde durch die Halle, um mögliche Bombenverstecke ausfindig zu machen. Journalisten mit Foto- und Videokameras müssen sich bereits zwischen fünf und sechs Uhr morgens für die erst Stunden später beginnende Tagung akkreditieren. Lediglich auf einer Empore dürfen sie der Veranstaltung beiwohnen. In den Saal selbst dürfen sie nicht.

Einige hat es noch härter getroffen. Medienvertreter, die sich in der Vergangenheit als besonders scharfe Kritiker Pretzells erwiesen hatten, wurden von der Berichterstattung zunächst ausgeschlossen, konnten sich erst mit gerichtlicher Hilfe Zutritt verschaffen. 

Ein Umstand, auf den Pretzell gleich zu Beginn der Veranstaltung eingeht. „Über 350 Journalisten sind heute akkreditiert. Dafür, daß wir angeblich alle ausschließen wollten, ist das eine Menge.“ Erstes schadenfrohes Gejohle im Saal. Den FAZ-Journalisten Justus Bender begrüßt er namentlich, erwähnt dessen Klage gegen den Ausschluß. „Herr Bender, stehen Sie mal auf“, fordert er und heizt die Stimmung damit weiter auf. Laute Buh-Rufe folgen, „Lügenpresse“-Sprechchöre folgen, einige Gäste recken erste Marine-Le-Pen-Plakate in die Höhe. 

Als Pretzell kritisiert, daß die EU „über Umwege“ Terrororganisationen gegen Israel finanziere, kommt es zu einem ersten Eklat. „Israel ist unsere Zukunft“, ruft der 43jährige. Diesmal ist der Beifall verhalten. Ein Gast springt wutentbrannt von seinem Platz auf, schreit unverständliche Worte in Richtung Pretzells. Zwei Ordner eilen herbei, führen ihn mit auf den Rücken gedrehten Armen aus der Halle. 

Kurzer, irritierter Blick des AfD-Politikers, der jedoch schnell mit seiner Rede fortfährt. „Mit Marine Le Pen wird es das beste Europa geben, das wir jemals hatten“, verspricht er und kündigt gleichzeitig die prominenteste Rednerin des Kongresses an. Starker Applaus brandet auf, zahlreiche Zuhörer reißen ihre Marine-Le-Pen-Plakate in die Höhe. 

Die Rede der Front-National-Chefin ist von Beginn an hoch emotional, trifft den Nerv ihrer Zuhörer. „Die Eliten rufen zum Kampf gegen Trump und Putin auf“, ist die Tochter des FN-Gründers Jean-Marie Le Pen überzeugt. Die Politikerin sieht Europa vor einer Zeitenwende. „Wir erleben das Ende einer Welt und die Geburt einer neuen, voller Hoffnung und neuen Möglichkeiten.“ Und: „2017 wird das Jahr sein, in dem die Völker des europäischen Festlands erwachen.“ Frenetischer Beifall. 

Den bekommt auch Geert Wilders. Als er ruft: „Europa braucht Frauke statt Angela“, kocht der Saal. „Merkel muß Weg“-Sprechchöre kommen auf, die Zuhörer feiern sich und ihre Polit-Idole. „Wir sind die Eliten satt“, kritisiert er. „Volksverräter“-Rufe kommen vereinzelt auf.

„Lassen Sie uns dieses Europa neu gestalten“, appelliert Frauke Petry in ihrer Rede an die Gäste. Die Teilnahme der AfD-Chefin an einer ENF-Veranstaltung könnte Signalwirkung haben. Wird die AfD, die einst als Teil der konservativen EKR-Fraktion ins Europaparlament gestartet war, endgültig einen Rechtsruck zur ENF vollziehen? Nicht jeder in der AfD ist davon begeistert. 

„Ich dachte, ich falle vom Glauben ab, als ich das Parteiprogramm vom FN gelesen hatte“, sagt etwa der Landtagsabgeordnete Bert Obereiner aus Mecklenburg-Vorpommern, dem die wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele der französischen Partei zu „sozialistisch“ sind. Auf anderen Politikfeldern sehe er jedoch „Gemeinsamkeiten.“ Mit den jüngsten Äußerungen von Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke zum Holocaust-Denkmal (siehe Seite 5) habe man in seinem Landesverband jedoch größtenteils „keine Probleme“.

Eine Auffassung, die der rheinland-pfälzische AfD-Landesvize Joachim Paul so nicht teilt. „Ich schließe mich da ganz der Meinung meines Landesvorsitzenden Uwe Junge an.“ Der hatte Höckes „Ausflüge in die Zeit des Dritten Reichs“ als „absolut kontraproduktiv“ bezeichnet. Als auf der späteren Pressekonferenz eine Journalistin Höcke versehentlich dem sächsischen Landesverband zuordnet, betont auch Frauke Petry nochmals ihre ablehnende Haltung zu Höckes Aussagen. „So etwas werden Sie in der AfD Sachsen nicht hören.“

Joachim Paul sieht dagegen in der Annäherung an den Front National ein „Ausloten von Gemeinsamkeiten.“ „Die haben wir vor allem in der Freihandelspolitik und in der Zuwanderungspolitik.“ Im Gegensatz zum FN bekenne sich die AfD jedoch zur Nato. Auch in der Wirtschaftspolitik gebe es unterschiedliche Auffassungen. „Da sind wir einfach liberaler.“

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT meint Frauke Petry, man wolle „Unterschiede und Gemeinsamkeiten“ mit der ENF-Fraktion „im Detail Punkt für Punkt herausarbeiten.“ Die AfD müsse jetzt auch ein „eigenes außenpolitisches Profil entwickeln.“ Das sei „im wesentlichen von Marcus Pretzell in Brüssel und Straßburg vorangetrieben worden. Zu einer Zeit, als die AfD sich 2015 erst mal neu finden mußte.“„Ich bin stolz darauf, daß das hier alles so gut geklappt hat“, zeigt sich Pretzell im Gespräch mit der JF über den Ablauf des Kongresses zufrieden. „Ich glaube, die Reaktion in den Medien über den Kongreß gibt uns Recht.“

In einiger Entfernung zur Rhein-Mosel-Halle demonstrieren unterdessen 3.000 Linke gegen „Rechtspopulismus in Europa“. Unter ihnen auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Maria Luise Dreyer (SPD), Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn und die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter. Etwa 100 Linksradikalen sind offensichtlich auch die Positionen Sigmar Gabriels nicht links genug. Sie empfangen den SPD-Vorsitzenden mit „Hau ab“-Rufen.