© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Mehr als Gulasch, Paprika und Salami
Grüne Woche: Hunderttausende im Rausch regionaler Spezialitäten / Faire Preise nur für Landwirte in Afrika?
Peter Felser

Schon am Vormittag trotzen Tausende Besucher der Kälte und drängen durch die gefüllten Hallen. Bis Sonntag präsentieren auf der traditionsreichsten Berliner Messe Handel, Regionen und Länder ihre Genuß- und Produktangebote. Daneben fungiert die Ausstellung mit ihren fachlichen Angeboten und dem begleitenden Konferenzprogramm als Informations- und Kontaktbörse für die gesamte Agrarwirtschaft. Mit 118.000 Quadratmetern ist die Hallenfläche zu Füßen des Berliner Funkturms voll belegt. Die Messe Berlin erwartet an den zehn Messetagen rund 400.000 Fach- und Privatbesucher.

Gastland ist in diesem Jahr Ungarn. Der Agrarminister Sándor Fazekas nutzt in seiner Eröffnungsrede die Chance, sein Land wieder in ein besseres Licht zu rücken. Es ist ohnehin erstaunlich, daß die Messeleitung ihre Entscheidung für Ungarn überhaupt aufrechterhalten hat. Das deutschfreundliche Land, daß 1989 als erstes den Eisernen Vorhang durchschnitt, rangiert seit dem konservativen Erdrutschsieg Viktor Orbáns 2010 politisch-medial irgendwo zwischen Donald Trump und Wladimir Putin. Dabei ist Ungarn mit 21,7 Milliarden Euro Handelsaustausch für die deutsche Exportwirtschaft wichtiger als Südkorea oder Japan.

„Wir sind mit unseren deutschen Freunden durch eine fast tausend Jahre währende, enge geschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Beziehung verbunden. Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner und politischer Verbündeter Ungarns“, wirbt denn auch Fazekas um eine partnerschaftliche Verbindung auf Augenhöhe. In der Messehalle 10.2 können die Besucher auf rund 1.600 Quadratmetern das Land der Magyaren kennenlernen und die zahlreichen ungarischen Delikatessen kosten. Unter dem Motto „Traditionsreich, vielfältig, vatürlich: Ungarn“ treffen sich dort nicht nur poltitisch Tradition und Moderne.

Traditionelle Gerichte wie Langosch, Gulaschsuppe (Gulyás), Gulasch (Pörkölt) oder der Klassiker, die ungarische Salami aus Szegedin und Pálinka (ein „rein ungarischer“ Obstbrand) findet man in der Ungarnhalle und kann diese kosten. Wichtiger neben diesen kulinarischen Produkten sind aber Marketing und Werbung für das Land selber: die Ungarische Agentur für Investitionsförderung (HIPA), die kostenlose Beratung für Unternehmen anbietet, das Ungarisches Tourismusamt und das Ungarische Nationale Handelshaus sind mit einem Stand in der Ungarnhalle vertreten.

„Die deutsche Milchkrise ist noch lange nicht vorbei!“

Doch die meisten Besucher drängen sich um die Marktstände, probieren regionale Wurstsorten oder Allgäuer Bergkäse. Von den strategischen Überlegungen der Magyaren bekommen sie nichts mit. Auch nicht, daß die deutschen Landwirte weiter unter enormen Druck stehen. Insbesondere die Milchbauern hat es im vergangenen Jahr stark gebeutelt, mit einem Milchpreis zum Teil unter 20 Cent pro Liter (JF 25/16).Wie lange die Erholung, die sich am Markt heute abzeichnet, währt, ist schwer zu sagen.

Daher nutzt der Bund deutscher Milchviehhalter (BDM) die Bühne auf der Grünen Woche, um die Herausforderungen an die Öffentlichkeit zu bringen: für BDM-Sprecher Hans Foldenauer gibt es noch viel zu tun. „Die Krise ist für die Milchviehhalter noch lange nicht vorbei. Sie werden noch sehr lange brauchen, um die Verluste dieser Krise auch nur annähernd ausgleichen zu können. Es gibt daher überhaupt keinen Anlaß, sich schon zurückzulehnen und zu meinen, daß es keinen akuten Handlungsbedarf mehr gäbe“, erklärt Foldenauer. Zeitgleich mit der Grünen Woche veranstaltet der BDM ein Symposium. Dort wird unter anderem die Frage gestellt: „Das Leitbild des freien Milchbauern: Nur noch Vertragsbauer oder echte Entscheidungsfreiheit?“.

Im Angesicht der Sanktionen gegen Rußland stellt sich für die Milchbauern die Frage nach eigener Entscheidungsfreiheit gar nicht – diese umstrittene Maßnahme war mit ein Grund für den massiven Preisverfall für Milch nach dem Wegfall der Milchquote. Für die Bauern bleibt die Zukunft äußerst unsicher, und Investitionen sind kaum über die nächsten zwei bis drei Jahre zu kalkulieren. Der Unmut wächst, und Christian Sebald von der Süddeutschen notiert aufgeregt, daß jetzt sogar die AfD „mit den Bauern anbandelt“. Hintergrund ist eine Podiumsdiskussion im Allgäu vom AfD-nahen Mittelstandsforum Bayern, bei der demnächst unter anderen auch BDM-Chef Romuald Schaber sprechen soll.

Derweil kümmert sich CSU-Minister Gerd Müller am Messestand des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) um „faire Preise“ für Landwirte in ganz anderen Regionen. Unter dem Motto „fair leben, fair einkaufen, fair produzieren“ eröffnete Müller am 25. Januar mit Vertretern aus Zivilgesellschaft und Textilindustrie eine Diskussion über das Thema „Faire Textilien – du trägst Verantwortung“. In Halle 5.2 ist auf rund 750 Quadratmetern ein umfangreiches Programm zu sehen. Die Besucher sähen, „wie bewußtes Einkaufen weltweite Entwicklung fördert“. So erführen sie in der BMZ-Ausstellung anschaulich, „wie ein T-Shirt vom ‘Baumwollfeld bis zum Bügel’ fair produziert wird und wie durch den Kauf fairer Textilien die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Produktionsländern verbessert werden“, schwärmt das BMZ.

Die Besucher sehen sich interessiert um, aber sie wissen leider nichts davon, daß viele deutsche Bauern – neben den Milchvieh- auch die Schweinehalter – im vergangenen Jahr knapp ihrer Existenzvernichtung entgangen sind und immer noch keine echte Perspektive für die Zukunft sehen.

Die Internationale Grüne Woche läuft noch bis 29. Januar auf der Messe Berlin: www.gruenewoche.de