© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Mit Aristoteles wäre Europa im Mittelalter steckengeblieben
Kein Vater der Moderne
(wm)

Neben der Legende vom südspanischen multikulturellen Idyll Al-Andalus (JF 52/16–1/17) unter islamischer Herrschaft vor 1.000 Jahren zählt die Mär von Avicenna und  Averroës zum heutigen Standardrepertoire islamophiler Geschichtsklitterung. Sind doch diese mittelalterlichen islamischen Gelehrten wegen ihrer unbestreitbaren Verdienste um die Aristoteles-Rezeption zu geistigen Paten der europäischen Kultur aufgestiegen, fast gleichrangig neben dem durch die Scholastik in den christlichen Lehrkanon eingebauten und zum „Lehrer des Abendlandes“ avancierten antiken Philosophen. Der Potsdamer Physiker und Wissenschaftshistoriker Klaus Liebers stutzt in seiner Skizzierung der wichtigsten aristotelischen Beiträge zur Naturphilosophie und -wissenschaft diese Kolportage über die Islamgelehrten auf ihren tatsächlich eher bescheidenen Einfluß zurück. Vom geozentrischen Weltbild der aristotelischen Scholastik führe keine Brücke zur modernen Naturwissenschaft der Kopernikus und Galilei (Naturwissenschaftliche Rundschau, 12/16). Liebers erwähnt jedoch nicht, daß gerade mit Aristoteles auch der Islam das Mittelalter nicht verlassen und bis heute nicht vorstoßen konnte zum Kern dessen, was Europa den Aufbruch in eine welthistorisch singuläre Entwicklung ermöglichte: Autonomie der Vernunft und Souveränität wissenschaftlichen Bewußtseins. 


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