© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Biologische Feldforschung im Supermarkt
Eine neue Methode zur Überwachung der globalen Fischvermarktung / Sieben Prozent Fehletikettierungen
Christoph Keller

Mehr Globalisierung als dem Fischkonsumenten wird wohl nur noch Vegetariern und Veganern geboten, deren fleischlose Sojakost oder Mandelmilch oft ebenfalls und wenig nachhaltig aus den fernsten, exotischen Winkeln der Erde stammt. Die Doktorandin Babette Günther vom Deutschen Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung (DZMB) in Wilhelmshaven kam daher nicht in Verlegenheit, als sie sich an Fischtheken und aus Kühlregalen in Niedersachsen das Sortiment für eine molekularbiologische Untersuchung von Fischen und Meeresfrüchten zusammenstellte: 97mal Fisch und 21mal Garnelen und Krebse füllten ihre Kühltaschen. Kein Kunststück, denn Deutschland liegt im Welthandel auf Platz sechs der Fischimporteure – und die Nachfrage steigt um acht Prozent jährlich.

Falscher Weißer Heilbutt und ungenießbarer Ölfisch

Der Großeinkauf aus frischem, gefrorenem und konserviertem Fisch in allen erdenklichen Variationen bis hin zu Sushi, Krebsbutter und fischhaltigem Katzenfutter wanderte ins Labor, um „artspezifisch“ analysiert zu werden. Klingt nach einer seit über hundert Jahren praktizierten lebensmittelchemischen Routine, ist es aber nicht. Weil mikrobiologische Verfahren zur Analyse art- und gewebespezifischer Protein- und Peptidspektren ebenso neu sind wie die DNA-Barcoding-Methode, auf die Günther bei jenen Proben rekurrierte, deren Proteine etwa durch die Konservierung zerstört worden waren.

Zwar versagt auch das Barcoding bisher bei stark verarbeiteten Lebensmitteln, weil die DNA durch weitverbreitete Zusätze, die die Haltbarkeit erhöhen, in kleine Bruchstücke zerfällt. Ziel von Günthers Dissertation ist es jedoch zu beweisen, daß sich Arten selbst anhand kürzerer Fragmente des genetischen Barcodes identifizieren lassen. Die in Göttingen ausgebildete Nachwuchsbiologin sieht darin einen Beitrag zur sofort praktisch umsetzbaren Grundlagenforschung. Denn bei globalisierten Handelswegen leidet die Produkttransparenz. Zumal international nicht ähnlich strenge Kennzeichnungspflichten bestehen wie in der EU, wo seit 2000 die einheitliche und klare Etikettierung von Handelserzeugnissen gesetzlich fixiert ist. Also tragen universelle Methoden auf der Basis des schnellen und kostengünstigen DNA-Barcoding dazu bei, Herstellungs- und Handelsketten effizient zu überwachen und den Verbraucherschutz zu verbessern.

Daß hier durchaus „Handlungsbedarf“ besteht, wie Günther mahnt, habe die Auswertung ihrer Probensammlung bewiesen. Es war bei ihren Einkäufen nämlich nicht immer drin, was auf der Packung stand. „Fehletikettierungen“ im Umfang von 6,9 Prozent, wie sie jüngst bundesweit ermittelt wurden, kann sie daher bestätigen. Bei sieben von 96 von ihr genetisch identifizierten Produkten fanden sich Abweichungen, davon enthielten fünf sogar gänzlich andere Arten als angegeben.

Darunter war eine „Seelachs-Creme“ aus Kohlfisch (Pollachius virens) und ein als Weißer Heilbutt (Hippoglossus hippoglossus) verkaufter und auf der Roten Liste gefährdeter Arten stehender Fisch, der sich als ordinärer Schwarzer Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides) entpuppte. Oder, sogar im selben Fischladen erworben, eine vermeintliche Buttermakrele (Lepidocybium flavobrunneum), die ein ordinärer Ölfisch (Ruvettus pretiosus) war, was Günther „ernsthaft besorgniserregend“ fand, denn dessen Fleisch enthalte Öle, die Magen-Darm-Beschwerden, Krämpfe und Kopfschmerzen verursachen. Beim Fischimportweltmeister Japan herrscht für diese Schlangenmakrelenart sogar ein Einfuhrverbot.

Eine andere Besorgnis nährte die Probe von einem angeblichen Zuchtlachs, die sich als von einem Buckellachs und damit aus einem Wildfang stammend erwies. Insgesamt, so resümiert Günther das Zwischenergebnis ihrer „Feldforschungen“ am Kühlregal, mögen die festgestellten Abweichungen zwar nicht dazu taugen, „immer gleich Betrug“ bei der global agierenden Fischindustrie zu wittern. Aber langfristig bekäme man mit Barcoding eben nicht nur das Problem der Fehletikettierung in den Griff, sondern derart verfeinerte, präventiv wirkende Kontrolle käme einem nachhaltigen Umgang mit marinen Ökosystemen und den arg strapazierten Fischbeständen in den Weltmeeren zugute.

„Operation Kühlregal – Welcher Fisch steckt wirklich in der Packung?“ im Journal Senckenberg. Natur – Forschung – Museum, 11-12/16:

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