© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Eine Diva der Vitamine
Folsäure als sinnvolles Nahrungsergänzungsmittel für Frauen – oder nur eine neue Marketingidee der Pharmaindustrie?
Reinhard Renneberg

Milliarden werden mit Nahrungsergänzungsmitteln verdient. Im besten Fall sind diese Substanzen nicht gesundheitsschädlich: Der Zusatz von Vitamin C, Kalzium oder Biotin (Vitamin H) steht aber wissenschaftlich gesehen nicht auf sehr stabilen Beinen. Oft verschwinden die erhofften Effekte bei exakten Großstudien im Nichts. Vitamine liefern unseren Enzymen die Handwerkszeuge, um Stoffe biokatalytisch umzusetzen. Sie müssen dem Körper ständig mit der Nahrung zugeführt werde.

Folsäure (Vitamin B9 oder Folat) ist nach ihrem Vorkommen in Blättern benannt. Frauen im gebärfähigen Alter wird die regelmäßige Einnahme empfohlen. Experten der vom US-Gesundheitsministerium berufenen Preventive Services Task Force (USPSTF) haben nun im Fachmagazin Jama einen Übersichtsartikel veröffentlicht, der die Wirksamkeit der Folsäure belegt.

Das fettlösliche Vitamin aus dem B-Komplex kann Neuralrohrdefekte (NRD) bei Neugeborenen verhindern. Eine ganze Reihe von Körperschäden und Todesfällen gehen auf das Konto dieser angeborenen Anomalie. Bis zu fünf von tausend Babys sind weltweit von der Fehlbildung betroffen. In Deutschland werden jährlich 800 Schwangerschaften aus diesem Grund nach entsprechenden Diagnosen abgebrochen. Mit ausreichend Folsäure könnten solche Defekte vermieden werden. Die Menge des Vitamins in der normalen Ernährung liegt allerdings meist unterhalb dessen, was Mediziner raten. Die wichtigsten Folsäurelieferanten sind Getreidekeime, aber auch Hülsenfrüchte, dunkles frisches Blattgemüse und Leber. Man muß auf mindestens 400 Mikrogramm täglich kommen. Aktuell empfehlen die Experten Frauen, 400 bis 800 Mikrogramm täglich einzunehmen. Überdosierungen sind ungefährlich.

Die besonders kritische Phase eines Folat-Mangels liegt etwa einen Monat vor der Empfängnis bis zum zweiten oder dritten Monat der Schwangerschaft. Doch da die Schwangerschaften oft ungeplant sind, sollten Frauen mit Kinderwunsch Folat dauerhaft ergänzen. Die US-Lebensmittelbehörde FDA verlangt seit 20 Jahren eine Folat-Anreicherung bei Brot, Mehl oder Müsli. Wie Folat genau wirkt, kann die Wissenschaft noch nicht erklären. Folsäure ist ein Koenzym bei der enzymatischen Herstellung von Nukleinsäuren (DNA und RNA), also des Erbmaterials. Positiv wirkt Folat auch beim Herzinfarktrisiko. Es hilft einem Leber-Enzym, die Infarkt-Risikosubstanz Homocystein (Hcy) zu entschärfen. Außerdem wirkt Folat gegen Depressionen. Die gute Nachricht ist also: die Pharmaindustrie hat durchaus solide Produkte. Dummerweise sind Viatmine nicht patentierbar und somit nicht hochprofitabel.

Studie „Folic Acid Supplementation for the Prevention of Neural Tube Defects“ im Magazin Jama (Volume 317/2/2017): jamanetwork.com/