© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Hofberichterstatter
Paul Rosen

Wer kennt dieses Gefühl nicht, daß eine Party völlig aus dem Ruder läuft? Die Gäste fangen Streit an oder das Essen ist verdorben. Solche Eindrücke müssen die Berliner Spiegel-Redakteure und ihre Hamburger Chefs gehabt haben, als sie vergangene Woche zum 70jährigen Bestehen des Magazins in ihre Büroräume in Berlin geladen hatten. Zur Party kam neben der Bundeskanzlerin Angela Merkel das halbe Kabinett. Außerdem waren die üblichen Freibiergesichter wie Lobbyisten und Verbandsvertreter sowie etliche Abgeordnete zu sehen. 

Wer schon etwas länger in Berlin die abendlichen Einladungen abarbeitet, konnte zunächst eine Verschlechterung der Örtlichkeit bemerken: Lud der Spiegel früher zu seinen Redaktionsabenden in eine vornehme Büroetage am Pariser Platz mit Blick auf das Brandenburger Tor, und sah man Spiegel-Redakteure gelegentlich im Nobelhotel Adlon beim Kaffee sitzen, so mußte die 1a-Lage gegen ein Quartier irgendwo zwischen Hauptbahnhof und Charité getauscht werden. Massive Auflagen- und Anzeigenverluste haben beim Nachrichtemagazin Sparzwang ausgelöst. Die Gegend, in der das neue Büro liegt, ist zwar abends nicht ganz so dunkel wie ein Friedhof, aber nach Ansicht von Berliner Spöttern mindestens genauso tot. 

Noch schlimmer an dem Abend war, daß alle Politiker und Journalisten nur ein Thema kannten: die Rücktrittsankündigung von SPD-Chef Sigmar Gabriel und seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur der Sozialdemokraten. An Peinlichkeit für die Spiegel-Redakteure nicht mehr zu überbieten war die Tatsache, daß diese Geschichte in Form eines Interviews mit Gabriel bereits in der Zeitschrift Stern stand, deren Erscheinungstermin eigens von Donnerstag auf Mittwoch vorgezogen worden war. Auch die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit war informiert und hatte ihre Informationen gleichzeitig mit dem Stern an die Öffentlichkeit gegeben. Nur der Spiegel wußte nichts, und das war nicht das erste Mal, daß das einst führende deutsche Nachrichtenmagazin zum „Second Hand News Shop“ (Berliner Spott) degradiert wurde.

Vizechefredakteur Dirk Kurbjuweit blamierte sich bis auf die Knochen. Er hatte am Dienstag früh noch in einer Rundmail an seine „Follower“ geschrieben, „ein paar kompetente Spekulationen“ deuteten darauf hin, daß die SPD an diesem Tag einen Kanzlerkandidaten präsentieren könne, „womöglich sogar den Vorsitzenden Sigmar Gabriel“. Kurbjuweit freute sich schon, auf dem Spiegel-Fest „einen Kanzlerkandidaten der SPD begrüßen zu können“. Martin Schulz war aber nicht da; dafür konnte Kurbjuweit den designierten Außenminister Gabriel begrüßen. 

Auch wenn die Nachricht von Stern und Zeit als Scoop und Erfolg von investigativem Journalismus dargestellt wird: Es war anders. Gabriel hat die Medien benutzt, hat ihnen die Informationen bewußt gegeben und hat es offenbar sogar in der Hand, den Erscheinungstermin des Stern zu ändern, der das gerne macht und Gabriel eine Gefälligkeitsgeschichte serviert. Da ist Journalismus keine vierte Gewalt mehr, sondern bekommt Höflingscharakter.