© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

„Wir bauen und werden weiterhin bauen“
Israel: Die schärfste Kritik am Siedlungsbau kam aus Berlin, auch Netanjahus rechter Koalitionspartner reagierte wenig angetan
Thorsten Brückner

Die schärfste Kritik kam aus Berlin. Die Bundesregierung bezweifle, ob Israel noch zu dem Ziel eines Friedensvertrags mit den Palästinensern stehe, erklärte Außenamtssprecher Martin Schäfer. Hintergrund war die Genehmigung von rund 2.500 Wohneinheiten in jüdischen Siedlungen auf der Westbank durch die israelische Regierung vergangene Woche. 

Der Großteil dieser Wohneinheiten befindet sich in Siedlungen, von denen die meisten aufgrund ihrer Lage oder ihrer schieren Größe auch nach einem Friedensvertrag mit den Palästinensern bei Israel verbleiben werden. 

Obama verhinderte bis dato den Ausbau 

Verhandlungen beider Konfliktparteien in der Vergangenheit zeigen, daß hierüber eine stille Übereinkunft besteht. Lediglich 106 Wohneinheiten wurden in kleineren, isolierten Siedlungen genehmigt, darunter 20 in der Siedlung Beit El bei Ramallah. 902 Wohneinheiten werden nach der Ankündigung von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman dagegen in Ariel, einer Kleinstadt in Zentralsamaria mit rund 19.000 Einwohnern gebaut. 652 in Giv‘at Ze‘ev, nordwestlich von Jerusalem mit über 16.000 Einwohnern und weitere 112 in Ma‘ale Adumim, der mit 38.000 Einwohnern größten Siedlung im Westjordanland. 

In den vergangenen Jahren war die Netanjahu-Regierung, auch aufgrund des Drucks der US-Regierung, mit Genehmigungen für den Ausbau oft so zurückhaltend, daß Siedlungen nicht einmal proportional zum natürlichen Bevölkerungswachstum erweitert werden durften. „Wir bauen und werden weiterhin bauen“, kommentierte Netanjahu auf Twitter die Entscheidung.

Nicht nur Deutschland, die Europäische Union und die Palästinenser, sondern auch Netanjahus rechter Koalitionspartner „Jüdisches Haus“ reagierte wenig angetan. „Wir sind nicht dumm“, kommentierte Knesset-Abgeordneter Bezalel Smotrich die Baugenehmigungen. 

Im besten Fall sei die Maßnahme Netanjahus ein Ablenkungsmanöver, um die Ausdehnung der israelischen Souveränität auf das Westjordanland zu verhindern. Im schlimmsten Fall werde so das Fundament für einen späteren palästinensischen Staat geschaffen. Ins gleiche Horn stießen Politiker von Netanjahus Likud-Partei. Der Knesset-Abgeordnete Yoav Kisch warf Netanjahu vor, mit dem Schritt die Politik der Linken fortzuführen, deren Ziel es sei, die großen Siedlungsblöcke zu fördern, während in den kleineren de facto ein Baustopp herrsche.

Zu einem Konflikt zwischen Netanjahu und seinem rechten Koalitionspartner kam es auch im Zuge des Siedlungs-Regulierungsgesetzes, mit dem das „Jüdische Haus“ Siedlungen auf privatem palästinensischem Land, die nach israelischem und internationalem Recht illegal sind, legalisieren wollte (JF 2/17). 

Netanjahu hatte anfänglich die Initiative unterstützt, sich aber mittlerweile davon distanziert und macht nun den Gesetzesentwurf sogar für die Verurteilung des Siedlungsbaus durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Dezember verantwortlich. 

Gleichzeitig mit der Freigabe der Wohneinheiten kündigte Lieberman auch, von internationalen Medien kaum beachtet, die Schaffung eines Industriegebiets für die Palästinenser südlich von Hebron an, das eines der größten seiner Art im Westjordanland werden soll.

Die Gestaltung der Siedlungspolitik war nach dem Sechstagekrieg ein ständiger Streitpunkt zwischen den politischen Lagern. Während die Arbeitspartei nach 1967 Siedlungen im Jordantal und südlich von Jerusalem bauen ließ, setzte der Likud unter Federführung des damaligen Landwirtschaftsministers Ariel Scharon in den späten Siebzigern auf kleinere, über die Westbank verteilte Siedlungen.

Es ist auffällig, daß Netanjahu mit seinem Fokus auf große Siedlungsblöcke eher der Tradition der israelischen Linken, als der seines Likud folgt. Auch die Arbeitspartei hatte nie den Ausbau von Siedlungen aufgegeben, sich dabei aber auf die größeren Blöcke konzentriert, die bei einem Friedensschluß ohnehin bei Israel verbleiben würden. Noch 1995, im Jahr seiner Ermordung, genehmigte Premierminister Yitzhak Rabin 3.200 neue Wohneinheiten. Internationaler Protest war damals weitgehend ausgeblieben.

Zum Amtsantritt der Begin-Regierung 1977 lebten rund 4.500 jüdische Siedler in den besetzten Gebieten. Als 1984 Shimon Peres das Amt des Premierministers übernahm, waren es bereits 30.000. Heute wohnen rund 400.000 Juden in 134 Siedlungen im Westjordanland unter etwa drei Millionen Palästinensern.